Führt Gewalt in der Wohnumgebung zu gewalttätigen Kindern und Jugendlichen?
Kinder und Jugendliche, die in ihrer Wohnumgebung mit Gewalt konfrontiert sind, zeigen in stärkerem Ausmass antisoziales Verhalten. Dies berichten Forschende der Universität Basel und der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel in einer neuen Studie, die den Zusammenhang zwischen Gewalterfahrungen und antisozialem Verhalten an über 1000 Kindern und Jugendlichen in sieben europäischen Ländern untersucht hat. Die Zeitschrift «Frontiers of Behavioral Neuroscience Research» hat die Resultate veröffentlicht.
06. November 2017
Die Basler Forschenden sind der Frage nachgegangen, inwieweit die Wohnumgebung einen negativen Einfluss auf die Entwicklung aggressiven und antisozialen Verhaltens haben kann. Bei solchen Gewalterfahrungen kann es sich beispielsweise um erlebte oder beobachtete Schlägereien, Verfolgungen oder Bedrohungen handeln.
In Europa zählen Störungen des Sozialverhaltens zu den häufigsten Gründen für eine Anmeldung in kinder- und jugendpsychiatrischen Fachstellen. Die Störung ist durch oppositionelles, aggressives und dissoziales Verhalten gekennzeichnet und ist häufig mit einer ungünstigen psychischen Entwicklung verbunden. Bei Betroffenen besteht ein hohes Risiko für Schulabbrüche, fehlende berufliche Integration, die Entwicklung von psychischen Erkrankungen oder Kriminalität.
Wohnumgebung beeinflusst antisoziales Verhalten
Die Forschenden untersuchten insgesamt 1178 Kinder und Jugendliche im Alter von 9 bis 18 Jahren aus sieben europäischen Ländern. Die Studie umfasste erstmals gesunden Kinder und Jugendliche (662 Probanden) sowie Kinder und Jugendliche mit einer diagnostizierten Störung des Sozialverhaltens (516 Probanden). Die Resultate zeigen, dass Kinder und Jugendliche mit häufigen Gewalterfahrungen in ihrer Wohnumgebung häufiger antisoziales Verhalten aufweisen als Kinder und Jugendliche ohne solche Erfahrungen.
«Wir stellen fest, dass höhere Raten an Gewalterfahrungen innerhalb der Wohnumgebung mit antisozialem Verhalten zusammenhängt. Bemerkenswert ist, dass dies gleichermassen für gesunde Kinder und Jugendliche nachzuweisen ist als auch für solche mit bereits existierenden Verhaltensauffälligkeiten», erklärt Erstautorin Linda Kersten. «Wir können mit dieser Studie ausschliessen, dass die Verbindung zwischen Gewalterfahrungen und antisozialem Verhalten allein auf der Tatsache beruht, dass sich Jugendliche mit Störungen des Sozialverhaltens eher in Gegenden aufhalten, in der mehr Gewalt herrscht», so Kersten weiter.
Mit Prävention den Teufelskreis durchbrechen
Laut den Autoren könnten die Resultate bei der Entwicklung von Präventionsprogrammen helfen und Initiativen für die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen fördern, die bereits solche Gewalterfahrungen gemacht haben. «Die Studie regt dazu an, die Bemühungen für die Etablierung von Präventionsprogrammen in Gegenden mit hohen Gewalt- und Kriminalitätsraten zu verstärken. Ziel ist es, die potenzielle Isolation von jungen Leuten mit viel Gewalterfahrung zu verhindern und somit den gefährlichen Teufelskreis von Gewalterfahrung und Gewalttätigkeit zu unterbrechen», sagt Prof. Christina Stadler von den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.
Diese Studie ist Teil des Projekts FemNAT-CD, ein grosses europaweites Forschungsprojektes das sich zum Ziel gesetzt hat, das Zusammenwirken psychosozialer und genetischer Faktoren von Störungen des Sozialverhaltens besser zu verstehen.
Originalartikel
Linda Kersten et al.
Community Violence Exposure and Conduct Problems in Children and Adolescents with Conduct Disorder and Healthy Controls
Frontiers in Behavioral Neuroscience (2017), doi: 10.3389/fnbeh.2017.00219
Weitere Auskünfte
Linda Kersten, Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, Tel. +41 61 265 89 66, E-Mail: Linda.Kersten@upkbs.ch