Resistente Krebszellen: Forscher entschlüsseln 3D-Struktur von Arzneistofftransporter
Arzneimittelresistenzen sind nicht nur bei der Behandlung von Infektionskrankheiten ein grosses Problem. Auch bei Krebserkrankungen gefährden sie den Erfolg einer Chemotherapie. Ein Grund dafür sind sogenannte Transportproteine, welche die Wirkstoffe aus den Zellen «herauspumpen». Forscher vom Biozentrum der Universität Basel und der ETH Zürich haben nun erstmals die dreidimensionale Struktur eines wichtigen Arzneimitteltransporters auf atomarer Ebene aufgeklärt. Die nun in «Nature» publizierten Ergebnisse liefern die Grundlage, zukünftig solchen Resistenzen entgegenzuwirken.
30. Mai 2017
Im Laufe der Evolution hat der menschliche Körper vielfältige Strategien entwickelt, mit denen er sich vor schädlichen Substanzen schützt. So befinden sich im Darm, der Plazenta aber auch der Blut-Hirn-Schranke winzige Transportproteine, die die Aufnahme von Giftstoffen verhindern, indem sie diese aus den Zellen des Gewebes wieder «herauspumpen». Dieser Schutzmechanismus ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, wenn es um die Therapie von Krankheiten geht. Denn solche Transportproteine schleusen auch eine Vielzahl unterschiedlichster Medikamente aus den Zellen. Dies ist ein Grund dafür, warum Krebszellen gegenüber Chemotherapeutika unempfindlich werden können. Diese Resistenzen stellen heutzutage ein grosses Problem bei der Krebstherapie dar.
Atomare Einblicke in die Architektur von Transportprotein
Eine dieser molekularen «Pumpen» ist das Protein ABCG2, das vor etwa zwanzig Jahren in resistenten Brustkrebszellen entdeckt wurde und die Wirksamkeit von Arzneistoffen beeinträchtigt. Doch trotz intensiver Forschung fehlten bis anhin aufgrund technischer Limitationen wichtige Puzzleteile über dessen Aufbau. Prof. Henning Stahlberg vom Biozentrum der Universität Basel ist nun gemeinsam mit Prof. Kaspar Locher von der ETH Zürich gelungen, die atomare Struktur von ABCG2 zu ermitteln. Das Wissen darüber ist grundlegend für die Entwicklung von Wirkstoffen, die solche Arzneimitteltransporter hemmen und somit die Medikamentenresistenzen von Krebszellen beispielsweise aufheben.
«Mithilfe der hochauflösenden Kryo-Elektronenmikroskopie konnten wir nun erstmals die 3D-Struktur des Arzneistofftransporters ABCG2 auf atomarer Ebene aufklären», sagt Stahlberg. «Wir von der Technologieplattform C-CINA am Biozentrum haben in der letzten Zeit intensiv daran gearbeitet, unsere Elektronenmikroskope in deren Auflösungsvermögen zu optimieren, und gleichzeitig weitgehend zu automatisieren. Wir haben eine unglaublich schnelle Analyse-Pipeline auf die Beine gestellt.»
Möglicher Transportmechanismus
Auf der atomaren Struktur aufbauend entwickelten die Forscher um Locher und Stahlberg eine erste Theorie zur Funktionsweise von ABCG2. Demnach befinden sich im Inneren des Proteinkomplexes - ein Transporter besteht aus zwei identischen ABCG2-Proteinen – zwei Hohlräume, die durch eine Verengung voneinander getrennt sind. Gelangt nun das Substrat in der Zelle, zum Beispiel ein Krebsmedikament, in den zelleinwärts gerichteten Hohlraum, kommt es zu Verschiebungen innerhalb der Struktur, woraufhin sich die Engstelle öffnet und der Arzneistoff in den auswärtigen Hohlraum gelangt. Eine mechanische Kopplung stellt anschliessend sicher, dass erst nach Freisetzen des Arzneistoffes in die Umgebung das Protein mit Hilfe von ATP-Energie wieder zurückklappen kann, um für ein neues Substrat in der inneren Kammer bereit zu sein.
Arzneistoffresistenzen entgegenwirken
Die umfassenden und detaillierten Einblicke in die Architektur des Arzneistofftransporters eröffnen nun neue Möglichkeiten, den Transport von Medikamenten sowie die Funktionsweise von ABCG2 genauer zu studieren. Darüber hinaus erleichtern die Strukturdaten die Modellierung und das Design von Substanzen, die das Transportprotein gezielt hemmen. In ihrer Studie ist es den Forscher mithilfe von Antikörper-Fragmenten gelungen, den Zustand von ABCG2 «einzufrieren». Die ermittelte Struktur zeigt auf, wie solche Antikörper gegen ABCG2 den Transporter lahmlegen können und so das «Herauspumpen» von Medikamenten aus der Zelle verhindern.
Die Studie wurde finanziert vom Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) Transcure.
Originalartikel:
Nicholas M.I. Taylor, Ioannis Manolaridis, Scott M. Jackson, Julia Kowal, Henning Stahlberg & Kaspar P. Locher.
Structure of the human multidrug transporter ABCG2.
Nature; published online 29 May 2017 | doi: 10.1038/nature22345
Weitere Auskünfte
Henning Stahlberg, Universität Basel, Biozentrum, Tel. +41 61 387 32 62, E-mail: henning.stahlberg@unibas.ch