Schlaf-Wach-Rhythmus: Fische verändern unser Verständnis, wie Schlaf reguliert wird
Anders als gedacht regulieren nicht alle Wirbeltiere ihren Schlaf-Wach-Rhythmus gleich. Wie Forscher der Universität Basel herausgefunden haben, benötigen einige Fische kein sogenanntes Orexin, um wach zu bleiben. Dieser Botenstoff galt bislang als unerlässlich für die Schlafsteuerung. Ohne ihn leiden Säugetiere wie der Mensch an Narkolepsie, auch Schlafsucht genannt.
14. März 2024 | Heike Sacher
Bis jetzt ging man davon aus, dass bei allen Wirbeltieren das Schlafverhalten ähnlich gesteuert wird. Deshalb greifen Forschende seit etwa 20 Jahren auch auf Fische als Modellorganismus zurück, um den Schlaf und wie er reguliert wird, genauer zu untersuchen.
Nun hat die Forschungsgruppe von Prof. Dr. Alex Schier am Biozentrum der Universität Basel eine überraschende Entdeckung bei einer südasiatischen Fischart, gemacht: Prachtschmerlen, die auch in Zoos und Aquarien zu finden sind, zeigen zwar ein normales Schlafverhalten, bei ihnen wird der Schlaf jedoch komplett anders reguliert. Diesen Fischen fehlt der sogenannte Orexin-Signalweg (oder auch Hypocretin-Signalweg), von dem man dachte, er sei für das Schlafen und Aufwachen bei allen Wirbeltieren unverzichtbar. Die Ergebnisse der Studie sind in «Current Biology» erschienen.
Schlaf-Wach-Rhythmus ohne Orexin
«Uns hat überrascht, dass Prachtschmerlen ein normales Schlafverhalten zeigen, und man sie vor allem leicht aufwecken kann, obwohl bei ihnen das Orexin-System nicht funktioniert», so Erstautor Dr. Vassilis Bitsikas. Diese Karpfenart verfällt also in keinen Ohnmachtszustand, wie er bei Narkolepsie häufig vorkommt, und benötigt kein Orexin, um den Schlaf-Wach-Rhythmus zu regulieren.
Die ursprüngliche Idee bestand darin, den Orexin-Signalweg bei Prachtschmerlen genauer zu untersuchen. Da diese Fische beim Schlafen einfach aufhören zu schwimmen und sich auf die Seite legen, ist es einfach, sie beim Schlafen zu beobachten. «Sie schienen der ideale Modellorganismus für unsere Schlafstudie zu sein. Weitere Untersuchungen ergaben jedoch, dass Prachtschmerlen über kein funktionsfähigen Orexin-Signalweg verfügen», berichtet Vassilis Bitsikas.
Narkolepsie bei Säugetieren
Bei Menschen ist ein intakter Orexin-Signalweg für einen gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus essentiell. Ist dieser defekt, leiden sie an Narkolepsie: Betroffene sind tagsüber übermässig schläfrig, ihre Muskeln erschlaffen plötzlich (Kataplexie) und sie fallen unkontrolliert in einen tiefen Schlaf, aus dem sie sich kaum wecken lassen.
Diese neurologische Erkrankung wird durch den Verlust von Nervenzellen im Gehirn verursacht, die normalerweise Orexin produzieren, ein Neurotransmitter, der uns wachhält. «Bisher ging man davon aus, dass bei einem Mangel an Orexin das normale Schlaf-Wach-Verhalten bei allen Wirbeltieren gestört ist. Diese Annahme ist falsch, wie sich nun herausstellt», so Alex Schier.
Fische steuern ihren Schlaf anders
Die Forschenden entdeckten zudem, dass nicht nur Prachtschmerlen ihren Schlaf-Wach-Rhythmus ohne Orexin steuern können, sondern auch Zebrafische. «Sie behalten trotz eines defekten Orexin-Signalwegs ihren normalen Schlaf-Wach-Rhythmus bei. Sie brauchen also kein Orexin, um wach zu bleiben», sagt Vassilis Bitsikas. Demnach könnte sich bei dieser Fischart separat ein anderer Mechanismus entwickelt haben, der den Schlafrhythmus reguliert. «Interessant wäre nun herauszufinden, wann und warum sich unterschiedliche Steuerungssysteme bei Wirbeltieren entwickelt haben», so Schier.
Fische wurden schon oft als Modellorganismen verwendet, um herauszufinden, wie der Schlaf im Laufe der Evolution entstanden ist. «Die neuen Erkenntnisse haben unser Verständnis der Schlaf-Wach-Regulation verändert. Fische bergen möglicherweise noch einige Geheimnisse, die uns helfen könnten herauszufinden, warum bestimmte Tiere anfälliger für Narkolepsie sind als andere», betont Vassilis Bitsikas.
Originalbeitrag
Vassilis Bitsikas, Fabien Cubizolles and Alexander F. Schier
A vertebrate family without a functional Hypocretin/Orexin arousal system
Current Biology (2024), doi: 10.1016/j.cub.2024.02.022