Unerwartete geschwindigkeitsabhängige Reibung
In der Makrowelt ist Reibung eigentlich nicht von der Geschwindigkeit abhängig, mit der sich zwei Flächen aneinander vorbei bewegen. Genau das haben nun jedoch Forschende aus Basel und Tel Aviv bei speziellen Strukturen von Graphen auf einer Platinoberfläche beobachtet.
07. Dezember 2022 | Christine Möller
Materialien, die aus einzelnen atomaren Schichten bestehen, sind aufgrund ihrer potenziell geringen Reibung interessant für Anwendungen, bei denen Reibung reduziert werden soll. Das gilt beispielsweise bei Festplatten oder beweglichen Bauteilen für Satelliten oder Weltraumteleskope. So wird auch Graphen, das aus einer einzigen Schicht von wabenartig angeordneten Kohlenstoffatomen besteht, als mögliche Schmierschicht untersucht. Frühere Studien haben beispielsweise gezeigt, dass sich ein Graphenband fast reibungsfrei über eine Goldoberfläche bewegen lässt.
Überraschende Ergebnisse bei rauer Oberfläche
Wird Graphen auf einer Platinoberfläche aufgebracht, hat dies einen entscheidenden Effekt auf die messbaren Reibungskräfte. Physikerinnen und Physiker der Universität Basel und der Tel Aviv University berichten nun im Wissenschaftsjournal Nano Letters, dass die Reibung in diesem Fall von der Geschwindigkeit abhängt, mit der die Spitze eines Rasterkraftmikroskops (AFM, siehe Box) über die Oberfläche geführt wird. Ein überraschendes Ergebnis, da nach dem in der Makrowelt geltenden Coulomb-Gesetz Reibung nicht von der Geschwindigkeit abhängt.
Zusammen mit dem Platinsubstrat bildet Graphen nicht mehr nur das sechseckige Wabenmuster aus Kohlenstoffatomen, sondern es entstehen Überstrukturen – sogenannte Moiré-Strukturen. Dies führt dazu, dass die Oberfläche nicht mehr vollkommen plan ist, sondern eine gewisse Rauigkeit aufweist.
«Wenn wir die AFM-Spitze mit einer geringen Geschwindigkeit über diese leicht gewellte Oberfläche bewegen, messen wir eine geringe, fast konstante Reibungskraft», erklärt Prof. Dr. Ernst Meyer vom Swiss Nanoscience Institute und Departement Physik der Universität Basel. «Ab einem bestimmten Schwellenwert nimmt dann aber die Reibung mit steigender Geschwindigkeit der Rasterkraftmikroskop-Spitze zu», ergänzt Erstautor Dr. Yiming Song. «Je grösser die Moiré-Überstruktur ist, desto geringer ist dieser Schwellenwert, ab dem die Reibung geschwindigkeitsabhängig wird.»
Wie die Forschenden feststellten, kommt es bei der Bewegung der Spitze an den Rändern der Moiré-Superstrukturen zu einem vergrösserten Widerstand. Die Ränder der Überstrukturen verformen sich elastisch durch die schiebende Spitze und entspannen sich dann bei genügend hohem Druck wieder. Dieser Effekt führt zu den erhöhten Reibungskräften, die umso grösser werden, je schneller sich die Spitze bewegt. Simulationen und ein analytisches Modell bestätigen die experimentellen Ergebnisse des internationalen Forschungsteams.
Originalpublikation
Yiming Song, Xiang Gao, Antoine Hinaut, Sebastian Scherb, Shuyu Huang, Thilo Glatzel,Oded Hod, Michael Urbakh, Ernst Meyer
Velocity Dependence of Moiré Friction
Nano Letters (2022), doi: 10.1021/acs.nanolett.2c03667
Rasterkraftmikroskopie
Ein Rasterkraftmikroskop (Atomic Force Microscope, kurz AFM) besitzt einen winzigen Federbalken mit scharfer Spitze, die über die zu untersuchenden Oberflächen gerastert wird. Zwischen Spitze und der Probe wirken anziehende und abstossende Kräfte, die den Federbalken ablenken. Ein auf den Federbalken gerichteter Laserstrahl in Kombination mit einem Photosensor misst die Verkrümmung. Diese Messwerte werden dann Punkt für Punkt zusammengesetzt und ergeben ein digitales Bild der Oberfläche.
Die Mikroskopspitzen können auch eingesetzt werden, um magnetische oder elektrische Eigenschaften der Proben zu analysieren. So lässt sich beispielsweise auch analysieren, welche Reibungskräfte auftreten, wenn die Spitze eine Probe abtastet.