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Forschen im Dienste der Nachhaltigkeit (01/2015)

«Es gibt noch grundlegende Unklarheiten.»

Interview: Matthias Geering und Thomas Pfluger

UNI NOVA sprach mit Frank Krysiak über Nachhaltigkeitsforschung und ihre Bedeutung für die Schweizer Politik.

Frank Krysiak
«Es braucht Nachhaltigkeit. Wir sind uns bloss nicht einig, was wir damit meinen.» Frank Krysiak © Foto: Christian Flierl

Frank Krysiak, Professor für Umweltökonomie, leitet das von der Universität Basel und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften geführte Kompetenzzentrum für sozioökonomische Energieforschung (CREST). Er wünscht sich qualitativ hochstehende Forschung, die sich gesellschaftlich engagiert.

UNI NOVA: Herr Professor Krysiak, wir sind auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Gesellschaft. Braucht es dafür überhaupt noch Forschung, wäre nicht eher «Action» angesagt?

FRANK KRYSIAK: Wir sind uns alle einig: Es braucht Nachhaltigkeit. Wir sind uns bloss nicht einig, was wir damit meinen. Die Forschung kann uns helfen, zu verstehen, wie eine nachhaltige Entwicklung der Schweiz in den nächsten zwanzig Jahren aussehen soll.

UNI NOVA: Welche Art von Forschung brauchen wir dafür?

KRYSIAK: Ich sehe unsere Rolle an der Universität Basel in der Grundlagenforschung, weil es bei vielen Fragestellungen noch grundlegende Unklarheiten gibt. Eines meiner Themen ist der Umgang mit Unsicherheiten, die Abwägung von Chancen und Risiken. Nehmen wir die Energiewende: Wir investieren in erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Wie schätzen wir ab, ob das nachhaltig ist? Wenn die Wahrscheinlichkeit hinreichend gross ist, dass die Menschen in einigen Jahrzehnten zurückblicken und die Energiewende als eine gute Sache bezeichnen, dann darf sie als nachhaltig gelten. Nachhaltigkeit ist eine ausserordentlich komplexe Angelegenheit. Je mehr wir forschen, desto mehr Fragen stellen sich uns.

UNI NOVA: Können Sie diese Komplexität erläutern?

KRYSIAK: Grundsätzlich geht es ja darum, menschliches Wohlergehen auch für die zukünftigen Generationen zu garantieren. Dazu wollen wir zum Beispiel auf erneuerbare Energien umsteigen, den CO2 -Ausstoss reduzieren, die Biodiversität erhalten, Pflanzen- und Tierarten schützen. Wir können versuchen, alle diese Probleme gleich gut zu lösen. Das wäre aber enorm kostspielig. Wir schauen deshalb, wie man die verschiedenen Ziele gegeneinander abwägen kann. Vielleicht ist es zulässig, die eine oder andere Art aussterben zu lassen, wenn man dafür etwas anderes, hinreichend Gutes erreicht? Viele Forscherinnen und Forscher gehen heute davon aus, dass man Nachhaltigkeitsziele gegeneinander abwägen darf – innerhalb gewisser Grenzen. Wenn wir uns erst einmal solche Ziele gesetzt haben, können wir entscheiden, welche Lenkungsinstrumente es braucht, um sie zu erreichen.

UNI NOVA: Wie könnten solche Lenkungsinstrumente aussehen?

KRYSIAK: Ein Ansatz, den wir momentan untersuchen, ist eine Scorecard. Diese würde die verschiedenen Aktivitäten eines Unternehmens im Hinblick auf Nachhaltigkeit messen. Das Unternehmen müsste insgesamt eine bestimmten Nachhaltigkeitswert erreichen, aber nicht in jedem einzelnen Punkt gute Leistungen erbringen. Es dürfte zum Beispiel von einem bestimmten Schadstoff mehr ausstossen, wenn es dafür in einem anderen Bereich positiv punktet.

UNI NOVA: Wer bestimmt, wie eine solche Scorecard zusammengesetzt sein müsste, was also zur Nachhaltigkeit gehört – die Wissenschaft oder die Politik? Gibt es da einen Konflikt?

KRYSIAK: Es sieht eher so aus: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler treten mit verschiedenen Angeboten an die Gesellschaft heran. Die Gesellschaft muss dann sagen, was sie will. Die Schweizer Politik hat sich vor einigen Jahren für die sogenannte «Schwache Nachhaltigkeit plus» entschieden. Diese schreibt vor, dass man sich eine gewisse Flexibilität bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsmassnahmen bewahrt, sich aber an Mindeststandards in allen Bereichen hält.

UNI NOVA: Die öffentliche Meinung ist doch aber sehr volatil. Nach dem Atomunfall in Fukushima glaubte man, nichts werde je mehr sein wie vorher. Bereits heute redet kaum mehr jemand davon.

KRYSIAK: Ich sehe das etwas anders. Fukushima hat nach einer langfristigen Entwicklung sozusagen noch den letzten Anstoss gegeben, den Ausstieg aus der Nuklearenergie umzusetzen. Schon vor Fukushima hätte sich aber kaum mehr jemand gefunden, der Milliarden in ein neues Kernkraftwerk investiert hätte.

UNI NOVA: Die Politik erwartet, dass Ihre Forschung direkt umsetzbare Ergebnisse erzielt. Stehen Sie unter hohem Erwartungsdruck?

KRYSIAK: Der Druck, schnelle Ergebnisse zu produzieren, ist auf jeden Fall real. Die politischen Prozesse zur Energiewende laufen, und es braucht wissenschaftliche Grundlagen für die Entscheidungsfindung. Das ist auch einer der Zwecke des CREST – qualitätsgesicherte Antworten auf gesellschaftliche Fragen zu liefern.

UNI NOVA: Wie begegnen Sie diesen Erwartungen?

KRYSIAK: Wir arbeiten mit einer Mischung aus einfacheren und riskanteren Projekten. Einige werden mit guter Sicherheit zu klaren Ergebnissen führen, zum Beispiel ein Projekt zur Neugestaltung der Bewilligungsprozesse für Solar-, Wind- und Geothermietechnik. Andere Untersuchungen sind hoch riskant, weil sie auf der Welt noch niemand so durchgeführt hat. Wir fragen uns zum Beispiel, was eine robuste Energiepolitik ist. Damit ist eine Politik gemeint, die auch dann funktioniert, wenn die äusseren Umstände sich ändern, wenn etwa die EU ganz andere Wege geht als heute vorgesehen. Natürlich hoffen wir, dass dabei etwa herausschaut, aber garantieren können wir das nicht.

UNI NOVA: Die Fragestellungen kommen also von der Politik oder der Gesellschaft.

KRYSIAK: Meistens. Es kann auch umgekehrt laufen – Forschungsergebnisse stossen manchmal politische Prozesse an. So haben wir – wie auch andere Forschende – vorgeschlagen, statt der kostendeckenden Einspeisevergütung eine differenzierte Besteuerung für Strom einzuführen. Strom aus erneuerbaren Quellen würde dabei tiefer oder gar nicht besteuert werden. Damit soll verhindert werden, dass Kohlestrom importiert wird, wenn die Schweizer Kernkraftwerke heruntergefahren werden. Ein Anreiz für erneuerbare Energie würde so geschaffen.

UNI NOVA: Das aktuelle Lenkungssystem für Energien ist komplex. Der Bund, die Kantone und die Gemeinden beteiligen sich alle mit eigenen Instrumenten, die den Energieverbrauch mindern und erneuerbare Energie fördern sollen. Versuchen Sie, einfachere Lösungen für die ganze Schweiz zu finden?

KRYSIAK: Wir suchen Lösungen, die man parallel zu den momentanen Lenkungsinstrumenten aufstarten kann. Sie sollen nach und nach zu wirken beginnen und die alten Instrumente ablösen. Zuerst muss man aber sicher sein, dass die neuen Instrumente funktionieren. Dafür braucht es eine Übergangszeit, und es braucht Forschung. Am Ende dieser Entwicklung steht eine ökologische Steuerreform. Das dauert aber noch einige Jahrzehnte.

UNI NOVA: Die Umweltökonomie und die Energieforschung leisten zweifellos einen wesentlichen Beitrag zur Nachhaltigkeitsforschung. Welche Bedeutung spielen andere wissenschaftliche Disziplinen?

KRYSIAK: Wichtige Beiträge kommen aus vielen Fachrichtungen, zum Beispiel aus den Rechtswissenschaften und der Soziologie. Natürlich spielen auch die Naturwissenschaften eine wichtige Rolle. Ohne deren Resultate können wir die Ziele der nachhaltigen Entwicklung gar nicht festlegen. Mir scheint allerdings, dass die Naturwissenschaftler manchmal den Überblick etwas verlieren. Vor einigen Jahren war ich zu einem Biodiversitäts- Kongress eingeladen. Jeder Referent stellte eine einzelne Tierart als besonders schützenswert dar. Als Ökonom sagte ich dazu: Wir können alle diese Tierarten schützen – aber das kostet ein paar Millionen Menschenleben. Geld, das dafür aufgewendet wird, kann man nicht mehr für andere Dinge ausgeben. Auf manches müssen wir verzichten! Die Abwägung, was wir wirklich für Nachhaltigkeit tun wollen und worauf wir verzichten müssen, ist für mich zentral.

UNI NOVA: Die Naturwissenschaften müssen also den Blick fürs Ganze schärfen.

KRYSIAK: Es braucht Schritte aufeinander zu. Die Naturwissenschaftler müssen mehr Überblick gewinnen. Auf der anderen Seite müssen die Ökonomen und Sozialwissenschaftler davon abrücken, nur auf der Metaebene zu forschen. Wir sollten keine weiteren fünfzig Jahre investieren, Nachhaltigkeit genau zu definieren, sondern an die konkrete Arbeit gehen.

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