Wem gehören unsere Daten, Christian Tschudin?
Text: Christian Tschudin
Laufend geben wir im Internet Daten über uns preis, oft ohne es zu wissen. Dass die Erforschung des Schutzes der Privatsphäre Hand in Hand gehen kann mit dem Einfordern des Rechts darauf, zeigen die Beiträge eines Informatikers und eines Juristen.
«We kill people based on meta-data», sagte der frühere CIA-Chef Michael Hayden. Er drückte damit auf dramatische Art aus, wie brisant sogenannte Kommunikationsranddaten sind. Solche Randdaten, auch Metadaten genannt, beziehen sich etwa auf die Absender- und Empfängeradresse, auf Absendeort und -zeit oder auf die Länge eines E-Mails. Internet-Provider sind weltweit verpflichtet, solche Metadaten für mehrere Monate auf Vorrat zu sammeln. Auch wenn der Inhalt eines E-Mails perfekt verschlüsselt ist, wird es von Metadaten begleitet, die selbst von sehr hoher Aussagekraft sind.
Technisch ist das Verschleiern der Metadaten enorm schwierig, weil der E-Mail-Versand unvermeidbarerweise an vielen Orten Spuren hinterlässt. Selbst ein verschlüsseltes Dateisystem transportiert Information. Anders als bei der Verschlüsselung gibt es bisher keine universell einsetzbaren Verfahren, um absolute Privatsphäre im digitalen Raum herzustellen. Zudem scheint dies auch gar nicht erwünscht: Mit Hinweis auf Terrorismus oder das organisierte Verbrechen soll ein Smartphone gemäss Forderungen der Strafverfolgungsbehörden für sie hackbar sein. Darf und soll die Wissenschaft Verfahren suchen, um absolute Privatsphäre herzustellen, im Wissen, dass diese missbraucht werden kann und die Strafverfolgung erschwert? Unbedingt!
Die Computerwissenschaften perfektionieren fortlaufend die Extraktion von Information in allen Lebensbereichen – vom Konsumverhalten bis zur Genomanalyse – und lassen uns Menschen nackt im digitalen Raum stehen. Die Wissenschaft, mitverantwortlich für die Erosion der Privatsphäre in dieser schönen neuen Welt, hat eine Bringschuld, wieder Räume zu schaffen, in die wir uns als Individuen und als Gruppen zurückziehen können. Ansonsten drohen uns totalitäre Zustände, wie sie in der Literatur beschrieben wurden: von George Orwells «Nineteen Eighty-Four» bis Dave Eggers’ «The Circle». Ein gemeinsames Element dieser Romane ist, dass «Speech» kontrolliert und private Räume bewusst ausgemerzt werden.
Ich gehe davon aus, dass es der Forschung gelingen wird, eine echte Privatsphäre für die digitale Welt herzustellen. Dem steht im Moment noch eine Welt gegenüber, die auf algorithmische Effizienz getrimmt ist und in welcher Informationen mit der minimalen Anzahl Bits dargestellt und transportiert werden. Es zeichnet sich schon jetzt ab, dass Privacy-Lösungen mit viel Ineffizienz einhergehen werden, zumindest wenn an heutigen Massstäben gemessen wird. Dass digitale Privatsphäre einen Preis hat – in Speicherplatz, Rechenzeit und Energieverbrauch –, wird zur Frage führen, wer sie sich leisten kann und darf. Ich bin zuversichtlich: Wie bei der Verschlüsselungstechnologie wird die Einsicht gewinnen, dass absolute digitale Privatsphäre ein Recht darstellt.
Das Gerangel um die digitale Privatsphäre hat im rechtlichen Raum schon lange begonnen. Sei es die Sammlung von Metadaten auf Vorrat, sei es, dass es, wie in England, strafbar ist, Passwörter nicht herauszurücken, oder seien es die aktuellen Vorschläge in den USA, wonach Ansprüche auf Krankenkassenunterstützung von der Herausgabe von DNA-Proben abhängig werden sollen. Ob wir ein Recht auf eine digitale Privatsphäre jemals in Anspruch nehmen können, hängt nicht nur von der Wissenschaft ab – aber es liegt an ihr, es überhaupt möglich zu machen.
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