Der Mann als Ernährer ist noch immer die Regel.
Text: Samuel Schlaefli
Häufiger als angenommen verdienen Frauen mehr als ihre Partner. Bei Befragungen wird der Lohn der Frau oft zu tief und jener des Manns zu hoch angegeben. Als Grund für diese systematische Verzerrung sehen zwei Ökonominnen die geltende Norm des männlichen Ernährers.
Dass sich die empirische Wirtschaftsforschung mit Genderfragen beschäftigt, ist relativ neu. Das liegt unter anderem daran, dass viele Daten erst in den letzten Jahren verfügbar wurden. Auch bei der Verknüpfung dieser Daten übten sich Ökonomen und Ökonominnen bisher in Zurückhaltung. Doch mit dem zunehmenden öffentlichen Interesse an der Gender- und der Familienpolitik ist das Thema auch für sie in den Vordergrund gerückt.
«Politiker wollen heute wissen, wie sich Interventionen bei der Familienbesteuerung, beim Mutter- und Vaterschaftsurlaub oder bei der familienergänzenden Kinderbetreuung volkswirtschaftlich auswirken», sagt Dr. Anja Roth. Sie war bis März Doktorandin in der Gruppe «Angewandte Ökonometrie» von Prof. Dr. Kurt Schmidheiny und hat sich als Gastforscherin auf Gender- und Familienökonomie spezialisiert.
Verzerrte Antworten bei Befragungen
Roth und ihre Kollegin Dr. Michaela Slotwinski haben sich für ihr Projekt «Gender norms and income misreporting within households» die Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung für die Jahre 2012 und 2015 genauer angeschaut, die auf Befragungen beruhen. Die Forscherinnen untersuchten das Phänomen, wonach sich die Verteilung der Einkommen der Frauen in Bezug auf das Gesamteinkommen des Paars bei genau 50 Prozent konzentriert und danach stark abfällt. Das heisst: Viele Frauen verdienen geringfügig weniger oder exakt gleich viel wie der Mann, aber nur sehr wenige Frauen verdienen mehr als ihre Partner. «Dieser deutliche Bruch in den Befragungsdaten wurde bisher dadurch gedeutet, dass die Paare ihr Arbeitspensum so anpassen, dass der Mann mehr verdient», so Roth.
Die beiden Ökonominnen stellten diese Erklärung infrage und verglichen die Lohnangaben der Befragungen mit den Werten des Sozialversicherungsregisters. Mit Unterstützung des Bundesamts für Statistik konnten sie über die AHV-Nummer jeder befragten Person das im Register eingetragene Einkommen zuweisen. Dabei zeigte sich: «In den Befragungen geben 34 Prozent der Paare, in denen die Frau mehr verdient als ihr Partner, den Anteil der Frau am Paareinkommen tiefer an, als er tatsächlich ist», sagt Roth. Die Forscherin erklärt dieses Phänomen mit geschlechtsspezifischen Normen: «In vielen Familien herrscht bis heute das Verständnis vor, dass der Mann den Hauptanteil ans Familieneinkommen beitragen sollte.»
Was begünstigt ein solches Verhalten und was nicht? Roth und Slotwinski machten dafür anhand der verfügbaren sozioökonomischen Daten folgende Faktoren aus: Wenn Frauen mehr verdienen und gleichzeitig einen höheren Bildungsgrad haben oder mehr arbeiten als ihre Partner, so ist die Diskrepanz zwischen Befragungs- und Administrativeinkommen geringer. Bei Paaren, in denen der Mann jünger oder gleich alt ist wie die Frau, war eine Verzerrung seltener erkennbar. Zudem spielt bei Menschen, die aus dem Ausland in die Schweiz gekommen sind, eine Rolle, ob sie aus Staaten mit hoher oder geringer Geschlechtergleichheit kommen: Zugezogene aus Schweden oder Dänemark untertreiben den Lohn der Frau zum Beispiel weniger oft als solche aus Frankreich oder Albanien.
Die von den beiden Ökonominnen entdeckten Verzerrungen bei Befragungen sind brisant, denn sie können dazu führen, dass das Lohngefälle zwischen Mann und Frau überschätzt wird. Trotzdem stellt ihre Studie das vom Bund ausgewiesene Lohngefälle zwischen den Geschlechtern von zurzeit 12 Prozent nicht infrage. Das Bundesamt für Statistik setzt nämlich bei seinen Erhebungen schon länger auf die sogenannte Lohnstrukturerhebung, also auf die Befragung bei den Arbeitgebern – anders als zum Beispiel in den USA, wo das Lohngefälle noch immer mittels Bevölkerungsumfragen erhoben wird.
Im Zentrum einer zweiten familienökonomischen Studie von Roth und Slotwinski, gemeinsam mit Dr. Matthias Krapf von der Universität Lausanne, stand der Einfluss von Krippen auf die sogenannte «Kinderstrafe». Damit wird die mit der Geburt des ersten Kindes begründete Einkommensdifferenz zwischen Frauen und Männern bezeichnet. «In der Schweiz liegt diese nach dem ersten Kind langfristig bei durchschnittlich 70 Prozent», sagt Roth.
Die meisten Frauen reduzieren nach der Geburt des ersten Kinds ihr Pensum oder suchen flexiblere Jobs, die oft schlechter bezahlt sind. 20 Prozent der Frauen steigen komplett aus der Arbeitswelt aus. Fazit: «Die erste Geburt, bei der in der Schweiz die Frauen meist im Alter zwischen 30 und 35 Jahren sind, hat für sie finanzielle Einbussen fürs gesamte Leben zur Folge.» Und dies gelte selbst für Frauen, die besser ausgebildet sind und vor der Geburt ein höheres Einkommen hatten als ihre Partner.
Krippen vermindern Ungleichheit
Die Forschenden verglichen im Kanton Bern die Einkommensunterschiede zwischen Familien in Gemeinden, in denen bei der Geburt des ersten Kinds eine Krippe zur Verfügung stand, und in Gemeinden, in denen das nicht der Fall war. Dazu benutzten sie anonymisierte kantonale Steuerdaten von 2001 bis 2015 und verfolgten die Einkommensentwicklung über eine Spanne von drei Jahren vor der Geburt des ersten Kinds bis sechs Jahre danach.
Mit einer Krippe reduzierte sich der Einkommensverlust sechs Jahre nach der Geburt von 71 Prozent auf 67 Prozent; dabei war der Effekt bei einkommensschwachen Paaren mit einer Reduktion von 74 Prozent auf 63 Prozent deutlich ausgeprägter. «Das hat wohl vor allem damit zu tun, dass besserverdienende Paare auch ohne Krippe Zugang zu anderen Betreuungsangeboten für ihre Kinder haben. » Insofern würden Krippen mit einem auf dem Einkommen basierenden, progressiven Bezahlmodell auch zu mehr Gleichheit in der Gesellschaft beitragen.
Familieneinkommen oft unverändert
Überraschend war hingegen: Auch wenn die Frauen dank verfügbaren Krippen etwas stärker zum Familieneinkommen beitragen, so bleibt dieses im Grossen und Ganzen unverändert. Roth erklärt dies damit, dass gerade in einkommensschwachen Familien Männer nach der Geburt des ersten Kinds den erlittenen Einkommensverlust der Familie oft durch Mehrarbeit oder eine neue Stelle kompensieren. Die Verfügbarkeit einer Krippe in der Gemeinde reduziert also den Druck auf den Mann, mehr als bisher zu verdienen.
Für die Forscherin steht fest: «Wenn es das Ziel ist, Ungleichheit bei den Einkommen zu reduzieren, Frauen stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren und die Gleichstellung innerhalb von Paaren zu fördern, dann hat die Verfügbarkeit von subventionierten Krippenplätzen eindeutig einen positiven Einfluss.
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