Notwendige Last.
Text: Noëmi Kern
Umgangssprachlich hat Ballast keinen guten Ruf. In der Seefahrts- und Sozialgeschichte spielte er jedoch eine gewichtige Rolle.
Kies, Sand, Steine und Kohle: Materialien wie diese überquerten ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tonnenweise die Weltmeere. Ihr Gewicht senkte und optimierte den Schwerpunkt der Schiffe, sodass sie auf hoher See stabil blieben. Das sorgte für mehr Sicherheit an Bord.
Dieser sogenannte Ballast durfte nicht zu teuer sein. Schiffe wurden damit beladen, wenn es gerade keine Ware zu transportieren gab oder um den Gesamtwert einer Fracht zu reduzieren und im Falle eines Unglücks den finanziellen Verlust geringer zu halten.
Ausserdem benötigten Schiffe mit einer voluminösen, aber eher leichten Fracht wie Tee oder Baumwolle zusätzliches Gewicht für eine bessere Stabilität. Infrage kamen unterschiedliche Materialien und es galt abzuwägen, was am dienlichsten war. Brauchte man vor allem Gewicht, hatte aber wenig Platz zur Verfügung, war Metall – sei es Eisenschrott oder genau für diesen Zweck gefertigte Barren – eine Option.
Der Nachteil: Eisen rostete mit der Zeit. Sand wiederum war besonders günstig, zog aber Feuchtigkeit und gelangte in jede Ritze. «Die Wahl der Ladung war ein Kompromiss zwischen Funktion, Materialität und Wert», sagt Paul Blickle. Der Historiker am Europainstitut der Universität Basel widmet sich in seiner Dissertation dieser «Ware, die keine ist», wie er es formuliert. «Vielmehr ist sie Mittel zum Zweck und nur für den Transit relevant.»
Umgangssprachlich ist Ballast heute negativ konnotiert. Der Duden beschreibt ihn als «unnütze Last, überflüssige Bürde». Paul Blickle widerspricht: «Ballast ist zwar mühsam, aber bestimmt nicht unnütz oder überflüssig – ganz im Gegenteil.» Er will ergründen, wie Ballast im 19. Jahrhundert maritime Verbindungen prägte und wie er die Qualität der Zeit auf See veränderte. Ihn interessieren vor allem jene Momente, in denen Menschen mit Ballast in Berührung kamen.
Mit Schaufel und Muskelkraft.
Dazu zählten die Arbeiter in den Häfen, die die Schiffe mit der gewünschten Menge Ballast beluden. Ein mittelgrosses Handelsschiff im 19. Jahrhundert benötigte mehrere hundert Tonnen, wenn es ohne Fracht den Hafen verliess. Obschon die Technisierung in den grossen Häfen voranschritt, war das Beladen eines Schiffes mit Ballast harte körperliche Arbeit, die sogenannte «ballast heavers» übernahmen. Sie waren ungelernte Männer, die kaum andere Verdienstmöglichkeiten hatten und meist schlecht bezahlt waren.
Um die Öffentlichkeit auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen, starteten Arbeiter in London in den frühen 1850er-Jahren eine Informationskampagne. «Ein Streik hätte ihnen wohl wenig gebracht; sie wären einfach durch andere ersetzt worden. Doch der öffentliche Druck führte zu einer parlamentarischen Intervention, welche die Situation der Arbeiter verbessern sollte: Sie wurden zu dauerhaften Angestellten des Londoner Ballastmonopols», sagt Paul Blickle.
Informationen, welche die noch wenig erforschte sozialgeschichtliche Bedeutung von Ballast aufzeigen, findet der Historiker zum Beispiel in Protokollen von Parlamentsdebatten, Gesetzestexten, Zeitungsberichten, Korrespondenz und Seemannsliteratur. Insbesondere zu England gibt es viele Quellen: Der Londoner Hafen war damals der grösste Hafen Europas. Die Schiffe brachten Lebensmittel, Kolonialwaren und Rohstoffe wie Holz und Kohle. Das Exportgewicht war deutlich geringer. Entsprechend wichtig war es für die Seeleute, dass sie ihr Schiff mit Ballast beladen konnten, um weiterfahren zu können, wenn es keine neue Fracht gab. Ein Hafen musste also genügend Ballast anbieten können, damit er für Schiffe attraktiv war.
Aus Ballast wird Ware.
Wer mit Ballast handeln durfte, war vielerorts streng reguliert und staatlicher Protektionismus weit verbreitet. Seeleuten war es entweder verboten, Ballast weiterzuverkaufen, oder es war mit hohen Auflagen und Abgaben verbunden. Beliebt waren deshalb Ersatzprodukte wie Kohle und Ziegel, in Extremfällen sogar Eis, die sich am Ende der Reise zu Geld machen liessen – wenn nicht gewinnbringend, so doch wenigstens kostendeckend. Paul Blickle sagt: «Einerseits hatten Schiffseigener einen Anreiz, Ballast an Bord zu haben, der sich gegebenenfalls verkaufen liess. Andererseits hatten auch Handelsgüter ein Gewicht und damit eine stabilisierende Funktion. Ich will die binäre Trennung von Ware und Ballast hinterfragen.»
Neben den Ballastarbeitern im Hafen kam mit den Seeleuten eine weitere Berufsgruppe mit Ballast in Berührung. Blickle will herausfinden, wie intensiv sich die Männer auf See mit dem Ballast beschäftigen mussten. Solange alles gut ging, war dieser einfach ein Teil der Transportmasse. Doch bei starkem Seegang musste die Mannschaft kräftig anpacken, um verrutschten Ballast neu zu verstauen.
Im Zielhafen mussten sie sich darum kümmern, ihn wieder loszuwerden oder neuen zu finden, wenn sie die Menge von Ballast anpassen mussten, weil die neue Fracht leichter oder schwerer war als die vorige.
Und schliesslich hat Ballast wohl auch gesundheitsrelevante Aspekte: «In Sand können Mikroorganismen stecken, die Krankheiten an Bord auslösen konnten», vermutet Paul Blickle. Aktuell sucht er in den Quellen nach Informationen dazu. Damals wie heute führte der globale Handel also auch dazu, dass Krankheitserreger, aber auch Tiere und Pflanzen um die Welt reisten.
Noch heute benötigen Schiffe Ballast, seit dem frühen 20. Jahrhundert hat sich Seewasser als universell verfügbarer und kostenloser Ballast durchgesetzt. Schiffe können spezielle Tanks bei Bedarf binnen weniger Stunden füllen, während das Laden von Ballastsand Tage oder sogar Wochen beanspruchte. Obwohl die Materialität sich verändert hat, ist die Funktion von Ballast gleich geblieben und Ballastwasser ist weiterhin eine Reisegelegenheit für (invasive) Arten.
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