«Die KI durchdringt immer mehr unser Leben»
Sollen Menschen auf das Urteil einer Maschine vertrauen, so wie sie einem anderen Menschen vertrauen würden? Selbst für Forschende bedeutet Künstliche Intelligenz immer noch eine Blackbox, die sie verstehen müssen. Gleichzeitig zieht die Industrie mit ihren Entwicklungen davon. Prof. Dr. Ivan Dokmanić forscht zur Künstlichen Intelligenz am Departement für Mathematik und Informatik der Universität Basel. Er leitet zudem das Center for Data Analytics an der Universität Basel.
Herr Dokmanić, wieso ist es so wichtig, genau zu verstehen, wie Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen funktionieren?
I. Dokmanić: Wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben derzeit ein gewisses Verständnis für die Vorgänge beim Deep Learning, also beim maschinellen Lernen, aber wir sind erst am Anfang. Die KI durchdringt immer mehr unser Leben, deshalb denke ich, dass es in unser aller Interesse ist, ein grundlegendes theoretisches Verständnis der Vorgänge zu fördern. Denn es wäre beängstigend, wenn etwas, das so allgegenwärtig und weitreichend ist, so wenig verstanden würde.
Die meisten Menschen kennen KI vor allem als ChatGPT. Kann die KI noch etwas anderes als Texte zu erstellen oder war es das schon?
Heute verstehen wir unter Künstlicher Intelligenz Systeme, die aus grossen Datenmengen wie Texten oder Bildern etwas lernen und dann etwas tun können, das plausibel erscheint. Jedoch ist der langfristige Traum von KI-Forschenden die so genannte Artificial General Intelligence (AGI), deutsch Künstliche allgemeine Intelligenz. Also künstliche Systeme, die nicht nur wie ChatGPT in einem spezifischen Kontext einen Text nach Aufforderung erstellen, sondern in einer Vielzahl von Kontexten und Aufgaben wie Menschen lernen und denken können.
Welchen Mehrwert bringt der Einsatz von KI für die Gesellschaft?
Die Grundlagenforschung ist die Voraussetzung für anwendungsorientierte Entwicklungen und Innovationen, aber auch ein zutiefst menschliches Bestreben. Und es gibt naheliegende Anwendungen, die dank KI ermöglicht werden: Das KI-System AlphaFold sagt zum Beispiel die 3D-Struktur von Proteinen vorher. Es hat die Proteinforschung revolutioniert. Und ein Projekt der Universität Basel, Swiss Closed-Loop Open DMT Platform, hat zum Ziel, die Entwicklungszeit von neuen molekularen Arzneimitteln von mehreren Jahren auf wenige Monate zu verkürzen. In den Geowissenschaften ist das grosse Ziel, Erdbeben vorherzusagen. Eine kühne Vorstellung, aber angesichts der jüngsten KI-gestützten Fortschritte scheint es nicht mehr unmöglich. Das ist nur eine kleine Auswahl, denn KI wirkt sich auf alle Bereiche aus.
Woran forschen Sie konkret?
Meine Arbeit zielt darauf ab, das Zusammenspiel zwischen Deep Learning und physischer Welt zu beleuchten. Deep Learning ist ein Teilbereich von KI, in dem künstliche neuronale Netze, die historisch vom menschlichen Gehirn inspiriert sind, eine zentrale Rolle spielen. Diese Netze eignen sich hervorragend für die Analyse grosser Datenmengen an Bildern und Texten, aber auch von Biomolekülen oder sogar von physikalischen Theorien. Unsere Erkenntnisse können zum Beispiel die biomedizinische Bildgebung verbessern. Mit Hilfe von Deep Learning können wir bessere Bilder mit qualitativ minderwertigen Messungen, mit weniger Strahlenbelastung oder in kürzerer Zeit erhalten. Wir nutzen Daten und Deep Learning auch, um Erdbeben, Planeten oder das Universum besser zu verstehen. Ich arbeite zudem an der Theorie des Deep Learning selbst und versuche, besser zu verstehen, was und wie diese tiefen neuronalen Netze lernen, um sie besser interpretieren zu können.
Arbeiten Sie mit anderen Forschenden und Institutionen zusammen?
Unsere Arbeit ist immer interdisziplinär. Am Zentrum für Datenanalyse arbeiten wir projektbezogen mit Forschenden der Uni Basel aus Pflegewissenschaften, Geisteswissenschaften, Biologie, Wirtschaft usw. zusammen. Als Beispiel kann ich ein Projekt nennen, das sich mit der familiären Kommunikation über das genetische Krebsrisiko befasst. Das Ziel ist, eine webbasierte Intervention zu erstellen, die sich an Familien richtet, die von familiärem Brust- und Eierstockkrebs betroffen sind. Und in meiner Forschungsgruppe kooperieren wir mit Forschenden weltweit, darunter mit einigen der führenden Expertinnen und Experten aus den Bereichen Mathematik, Machine Learning und Geowissenschaften.
Welchen Stellenwert hat Basel für die KI-Forschung?
Basel ist ein wichtiger Standort für die Grundlagenforschung in der Biologie. Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit sind vielfältig und spannend. Es ist auch ein wichtiges Zentrum für die translationale Forschung mit Blick auf die Pharmaindustrie und die personalisierte Medizin. Ich hoffe, dass die Region sich auch zu einem Zentrum für Künstliche Intelligenz entwickeln wird. Für Basel und die Universität Basel mit ihrem Engagement im KI-Bereich wie der Closed-Loop Open DMT Platform steht die KI-Forschung ganz oben auf der Prioritätenliste.
Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf?
Es gibt echte Probleme in der Grundlagenforschung, die mit Hilfe von KI gelöst werden können. Ein weiterer Punkt ist, dass die meisten Rechenressourcen sich aktuell nicht in öffentlich finanzierten Einrichtungen wie Hochschulen befinden, sondern bei Unternehmen wie Google oder Meta. Eine KI wird mit Daten trainiert, und wenn die Daten keinen fairen Zustand der Welt widerspiegeln, erlernt die KI ein Modell, das diese Unfairness verewigt. Es braucht deshalb einen ethischen Kompass von den Hochschulen und der Gesellschaft. Die Gesellschaft wurde von den Entwicklungen rund um ChatGPT überrascht, und es wird sicherlich weitere solche Überraschungen geben. Manche vergleichen ChatGPT mit einem Taschenrechner, aber die Ähnlichkeiten sind nur oberflächlich. Meiner Meinung nach ist die Entwicklung der KI viel tiefgreifender. Angesichts der Fortschritte in der generativen KI braucht es mehr Menschen, die bereit sind, proaktiv über die wissenschaftlichen Anwendungen und Auswirkungen der KI nachzudenken, aber auch über ihre gesellschaftlichen und rechtlichen Aspekte wie Fairness, Voreingenommenheit, geistiges Eigentum oder die Zukunft der Demokratie. Wir müssen für einen gerechten Zugang zu diesen Technologien sorgen angesichts des enormen positiven Potenzials der KI für die Menschheit.
Weitere Infos zur Forschungsgruppe von Prof. Dr. Ivan Dokmanić: sada.dmi.unibas.ch
Universität Basel lanciert KI-Initiative
Die Universität Basel leistet einen entscheidenden Beitrag, damit Künstliche Intelligenz zum Wohle der Gesellschaft verantwortungsvoll eingesetzt und weiterentwickelt wird. In Zukunft wird es insbesondere darum gehen, den Forscherinnen und Forschern, Studierenden und Mitarbeitenden, vor allem aber auch der Gesellschaft grundsätzlich das enorme Potential der Künstlichen Intelligenz zu erschliessen.
Im Rahmen einer ganzheitlichen KI-Initiative will die Universität Basel durch umfassende Massnahmen und Angebote den Herausforderungen begegnen, vor die unsere Gesellschaft durch die Fortschritte der KI-Entwicklung gestellt wird. Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf die Etablierung eines Dialogs mit ausserakademischen Stakeholdern gelegt werden, um den Wissenstransfer aus der Forschung in die Gesellschaft sicherzustellen und drängende Fragestellungen aus der Gesellschaft in die Forschung aufnehmen zu können.
Ziel der Universität ist es, offene Fragen im Umgang mit der KI zu beantworten, Risiken zu erkennen und entstehende Nachteile zu minimieren. Die Vision einer «Responsible Intelligent Society» (RSI), der sich die Universität in Ihrer KI-Initiative verschreibt, folgt dabei dem Motto «Niemand wird zurückgelassen»
Möchten Sie die KI-Forschung an der Universität Basel unterstützen? Caroline Mattingley-Scott, Leiterin Fundraising, steht Ihnen für Fragen gern zur Verfügung.