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Wie wir entscheiden. (01/2020)

«Risiko kann auch positiv sein.»

Interview: Andreas W. Schmid

Wovon hängt es ab, ob eine Person mehr Risiko eingeht oder nicht? Die Kognitionspsychologin Jana Jarecki forscht an der Universität Basel zu diesem Thema. Ihre Studien zeigen, dass Risiko meist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck ist, um bestimmte Bedürfnisse zu erfüllen.

Illustriertes Portrait von Dr. Jana Jarecki. (Illustration: Studio Nippoldt)
Dr. Jana Jarecki. (Illustration: Studio Nippoldt)

UNI NOVA: Frau Jarecki, Sie sind Entschei­dungsforscherin. Wie oft entscheiden Sie sich selbst dafür, ein Risiko einzugehen?

JANA JARECKI: Im Beruf sicher mehr als privat. Als Forscherin bewegt man sich in einem riskanten Umfeld – riskant inso­fern, als dass Forschung wenig berufliche Sicherheit bietet. Wünschte ich mir mehr berufliche Sicherheit, müsste ich mich in ein anderes Umfeld begeben.

UNI NOVA: Wie definieren Sie Risiko?

JARECKI: In der Risikoforschung verstehen wir unter riskanten Entscheidungen meist Entscheidungen, die negative, aber auch positive Folgen haben können. Da­mit unterscheidet sich unsere Definition vom Alltagsgebrauch, wo mit dem Begriff des Risikos fast nur das Negative – also Gefahren und Kosten – in Verbindung gebracht wird. Risiko kann auch positiv sein. Bei jemandem, der ohne jede Erfah­rung in eine Felswand steigt, mag die Möglichkeit durchaus hoch sein, dass er abstürzt. Beim Kletterprofi hingegen ist sie kleiner, weil er die Situation aufgrund seiner Erfahrungen besser einschätzen kann und seine Fähigkeiten seit Jahren geschult hat.

UNI NOVA: Je grösser also die Erfahrung, desto geringer das Risiko, das man ein­geht?

JARECKI: In diesem konkreten Fall ja. An­sonsten sind solche Verallgemeinerungen schwierig, das kann von Lebensbereich zu Lebensbereich variieren. Es gibt beispiels­weise Untersuchungen, die zeigen, dass im Aktienmarkt komplizierte Investiti­onsstrategien nicht erfolgversprechender sein müssen als Investitionen durch eine Person, die ganz ohne Erfahrung zufällig investiert. Dies, weil im Aktienmarkt das Risiko exogen gegeben ist – also äussere Einflüsse auf den Markt einwirken – und dadurch auch ein erfahrener Trader oft nicht vorhersehen kann, was passiert.

UNI NOVA: Da würde der Investment-Unter­nehmer Warren Buffet aber widerspre­chen.

JARECKI: Es gibt Menschen, die etwas Un­wahrscheinliches geschafft haben. Einer davon ist Warren Buffett. Ich würde aber gerne sehen, was herauskäme, wenn es am Finanzmarkt 100 Warren Buffetts gäbe und nicht nur einen – und ob die Ergebnisse dann auch einheitlich ausse­hen würden. Ich habe meine Zweifel.

UNI NOVA: Wovon hängt es ab, ob sich eine Person für mehr oder für weniger Risiko entscheidet?

JARECKI: Das hängt nicht nur von persön­lichen Vorlieben ab, sondern auch von der Situation. Es gibt das schöne Beispiel einer Studie aus dem Tierreich von Alas­dair Houston und John McNamara: Den­ken wir an einen kleinen Vogel, der 1000 Kalorien benötigt, um nachts im Winter nicht zu erfrieren. Er versucht deshalb tagsüber Nahrung zu sammeln. Läuft der Tag gut, muss er kein Risiko eingehen, aber wenn er einen schlechten Tag hat und kurz vor Sonnenuntergang noch nicht viel zum Essen gefunden hat, dann zwingt ihn die Situation, mehr Risiko auf sich zu nehmen – also zum Beispiel zu einer anderen Futterquelle mit mehr Fressfeinden zu fliegen. Das Risiko, das er eingeht, ist hier kein Selbstzweck, son­dern ein Mittel zum Zweck, um seine Be­dürfnisse zu erfüllen.

UNI NOVA: Wie lassen sich diese Erkennt­nisse aus der Tierwelt auf den Menschen übertragen?

JARECKI: In einer aktuellen Risikostudie haben wir Versuchspersonen in Situatio­nen analog zum kleinen Vogel gebracht. Die Teilnehmer spielten dabei ein Online­spiel, bei dem es darum geht, Entschei­dungen zu treffen, um ein Punkteziel zu erreichen, wobei es riskante und weniger riskante Optionen gibt. Gaben wir nun höhere Punkteziele vor, die es zu errei­chen galt, stieg die Bereitschaft zu mehr Risiko deutlich an. Blieb das Punkteziel tief, sank das Bedürfnis, Risiko auf sich zu nehmen. Unsere Ergebnisse und auch jene anderer Studien zeigen, dass die Menschen ein gutes Gespür dafür haben, wann sich die riskante und wann sich die sichere Option lohnt.

UNI NOVA: Sind Männer risikofreudiger als Frauen?

JARECKI: 1999 fand der US-Psychologe James P. Byrnes in seiner Metaanalyse he­raus, dass Frauen im Schnitt etwas weni­ger risikofreudig agieren als Männer. Al­lerdings konzentrierten sich damals viele Untersuchungen auf wenige Lebensberei­che, etwa auf den Verkehr oder die Ge­sundheit. Andreas Wilke und ich haben in einer Studie mit 120 Befragten heraus­gefunden, dass es Lebensbereiche gibt, in denen Frauen eher gewillt sind, mehr Ri­siko auf sich zu nehmen, als Männer. Zum Beispiel bei der Familie: Hier sind zwar grundsätzlich die meisten Menschen be­reit, etwas zu riskieren – Frauen aber noch mehr als Männer. Man kann des­halb, so unsere Erkenntnis, nicht generell sagen, dass Männer risikofreudiger sind als Frauen, sondern man muss immer schauen, um welchen Bereich es sich han­delt.

UNI NOVA: Wie erklären Sie sich, dass Frauen bei der Familie mehr Risiken ein­gehen als Männer?

JARECKI: Eine meiner Masterstudentinnen erforscht in ihrer Arbeit die Gründe für diese Unterschiede. Es kommen verschie­dene Faktoren zusammen, die allerdings nicht wissenschaftlich erhärtet sind. Viel­mehr handelt es sich um hypothetische Erklärungen, wie zum Beispiel jene, dass Frauen rein schon aus evolutionären Gründen eine andere Beziehung zu ihren Kindern haben, weil sie zu 100 Prozent sicher sein können, dass es ihre eigenen sind. Diese Sicherheit hat der Mann nicht, ausser er macht einen Vaterschaftstest. (Lacht.) Vielleicht hängt es auch von der Erfahrung ab, ähnlich wie beim Beispiel des Kletterns: Frauen haben aufgrund der traditionellen sozialen Struktur mehr Er­fahrung im Umgang mit Familie und Männer mehr Erfahrung in anderen Le­bensbereichen – und schätzen deshalb Risiken unterschiedlich ein. Doch wie gesagt: Das sind spekulative Hypothesen. Zudem ist es mir ein Anliegen, von den starren Denkmustern, was Mann und Frau anbelangt, wegzukommen, da ich den Entscheidungsprozess viel spannen­der finde. Wenn wir diesen verstehen, dann können wir am ehesten Menschen helfen, gute Entscheidungen zu treffen.

UNI NOVA: Was bringt die Menschen dazu, ihre Risikoeinstellung zu ändern?

JARECKI: Da nutzen wir wieder die Theo­rie, die aus dem biologischen Bereich kommt: Diese besagt ja, dass das Einge­hen von Risiken ein Mittel zum Zweck sei. Es ist also nicht nur so, dass ich eine Risikoeinstellung habe, die vielleicht situ­ations- oder geschlechtsspezifisch ist, sondern es gibt konkrete Gründe, wes­halb wir ein Risiko eingehen oder nicht. Einer dieser Gründe ist, dass wir Bedürf­nisse an Ressourcen haben, die wir erfül­len müssen.

UNI NOVA: Was bedeutet das konkret?

JARECKI: Es gibt die Forschung, die sich die globale Risikoeinstellung anschaut. Ihre Resultate zeigen, dass Menschen aus dem Norden Europas oder aus Nordamerika viel weniger Risiken eingehen als zum Beispiel Bewohner Afrikas oder von Süd­amerika. Überspitzt gesagt, wenn Risiko die einzige Möglichkeit ist, genügend Geld zu sammeln, damit man seine Kin­der zur Schule schicken kann, ist man gezwungen, mehr Risiken einzugehen. Das zeigt, dass die Menschen ganz stark auch situativ beeinflusst werden, was die Risikobereitschaft anbelangt.

UNI NOVA: Ist es überhaupt wünschens­wert, dass die Menschen mehr Risiken eingehen?

JARECKI: Es gibt Bereiche, wo das sinnvoll ist, zum Beispiel im Aktienmarkt. Die Sta­tistiken zeigen, dass Aktien längerfristig eine höhere Rendite bringen als festver­zinsliche Wertpapiere. Dafür aber muss man bereit sein, das Risiko von Kursaus­schlägen nach unten einzugehen. Oder in der Arbeitswelt: Da wäre es für mehr Fortschritt und Innovation in unserer Ge­sellschaft sicher sinnvoll, wenn viele Menschen ein Start-up gründen würden. Selbständigkeit aber ist für viele mit Ri­siko verbunden, und deshalb scheuen sie sich vor ihr.


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