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«Es braucht die Einbindung der afrikanischen Stimmen und Sichtweisen.»

Frau mit afrikanischen Wurzeln im Gespräch
Die Ausstellung «Deal with it» bindet bewusst afrikanische Stimmen ein. «Es kann ja nicht sein, dass eine solche Ausstellung ausschliesslich von weissen Personen aus der Schweiz umgesetzt wird», sagt Projektleiter Reto Ulrich. (Foto: Adobe Stock)

Die Ausstellung «Deal with it» in der Universitätsbibliothek Basel widmet sich der Beziehung zwischen Basel und Afrika. Projektleiter Reto Ulrich spricht im Interview über deren koloniale Prägung, Veränderungen in der Gesellschaft und warum ihn diese zuversichtlich stimmen.

05. Oktober 2023 | Noëmi Kern

Frau mit afrikanischen Wurzeln im Gespräch
Die Ausstellung «Deal with it» bindet bewusst afrikanische Stimmen ein. «Es kann ja nicht sein, dass eine solche Ausstellung ausschliesslich von weissen Personen aus der Schweiz umgesetzt wird», sagt Projektleiter Reto Ulrich. (Foto: Adobe Stock)

Herr Ulrich, woher kommt das Basler Interesse für Afrika?

Reto Ulrich: Im 19. Jahrhundert gab es eine grosse Entdeckungslust und ein ausgeprägtes Interesse an Reiseberichten. Das gilt auch für Basel. Vor allem Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich mit der Gründung von Institutionen wie des Schweizerischen Tropeninstituts oder der «Basler Afrika Bibliografien» ein Netzwerk, das weiterhin besteht. Das ist der Grundstein für das, was wir bis heute in Basel haben: eine auffällige Häufung von Institutionen mit überregionaler Strahlkraft, die sich stark mit dem afrikanischen Kontinent auseinandersetzen. Ursprung sind zum Teil die Biografien einzelner Personen, die ihre Faszination für Afrika anderen weitergegeben haben und ähnlich Gesinnte suchten.

Die Auseinandersetzung mit Afrika fand nicht auf Augenhöhe statt: Es besteht ein Gefälle zwischen westlich-europäisch und afrikanisch...

Die Faszination war stark kolonial geprägt. Das Bewusstsein für die Problematik dieser Haltung, die ja über mehrere hundert Jahre Bestand hatte, war nicht vorhanden. Es gab auch kein Feedback darauf, weil Betroffene bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts keine Stimme hatten. Noch heute fehlt überraschend oft das Bewusstsein dafür, dass Dinge, die sich im Umgang mit Afrika eingespielt haben, problematisch sind, weil sie nie hinterfragt wurden, insbesondere in der Schweiz. Die Schweiz hatte selber keine Kolonien, dennoch gibt es auch hier eine Kolonialgeschichte, etwa die Verbindung des Basler Grossbürgertums zum Sklavenhandel. Es fehlt aber ein institutionalisierter Umgang damit und die Themen Dekolonisierung, Restitution und Provenienzforschung werden nicht so prominent diskutiert. Das wiederum verhindert die Reflexion des Geschehenen.

Reto Ulrich
Reto Ulrich, Projektleiter der Ausstellung (Foto: Basler Afrika Bibliographien)

Was wollen Sie mit der Ausstellung erreichen?

Zunächst einmal: Das Ziel der Ausstellung kann nicht sein, Antworten auf so schwierige Fragen zu bieten wie «Wie können wir Unrecht vergelten?» oder «Wie lässt sich geschehenes Unrecht in Recht umwandeln?». Ich glaube, dass sich unsere Gesellschaft noch lange schwertun wird mit den Antworten darauf. Wir wollen mit der Ausstellung dazu beitragen, dass eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen stattfindet. Die vorgestellten Institutionen befassen sich seit Jahren mit ihrer eigenen Geschichte. Und auch das Rahmenprogramm macht deutlich, dass es in Bereichen wie Kunst, Musik, Theater und Wissenschaft viele tolle Ansätze gibt. Die Sensibilisierung hat in den letzten Jahren stark zugenommen und wir wollen diesen Prozess bestärken. Ich glaube, dass wir grundsätzlich auf einem guten Weg sind.

An wen richtet sich die Ausstellung?

Diese Frage haben wir uns bei der Erarbeitung immer wieder gestellt. Die UB ist das Herz der Akademie und die Universität setzt mit dem Zentrum für African Studies einen Schwerpunkt für die akademische Auseinandersetzung mit Afrika. Wir wollen also einerseits ein Fachpublikum ansprechen. Andererseits wollen wir ein Bewusstsein für die Kolonialgeschichte Basels schaffen. Es gibt an der UB auch ein Laufpublikum ohne fachlichen Hintergrund. Deshalb haben wir uns zugunsten eines breiteren Publikums für Deutsch als Ausstellungssprache entschieden. Es gibt auch ein Begleitheft auf Englisch; Inklusion und Exklusion ist gerade bei diesem Thema ein wichtiger Faktor.

In der heutigen Zeit kolonial geprägte Inhalte zu zeigen, ist nicht unkritisch. Bei einigen Exponaten gibt es Triggerwarnungen und Sie bitten die Leute, gezeigte Stereotype nicht zu reproduzieren. Welchen Massstab haben Sie angelegt?

Wir hatten das Glück, dass unsere Co-Kuratorin Elisa da Costa Halb-Angolanerin und Halb-Schweizerin ist. Ihre Perspektive ist sehr stark eingeflossen, denn es kann ja nicht sein, dass eine solche Ausstellung ausschliesslich von weissen Personen aus der Schweiz umgesetzt wird. Vielmehr braucht es die Einbindung der afrikanischen Stimmen und Sichtweisen.

In unserer Gesellschaft herrscht noch wenig Bewusstsein dafür, was Bilder, ikonografische Darstellungen und Texte auslösen können und wie das verletzen kann. Das wollten wir auf keinen Fall tun. Uns war wichtig, dass wir eine Ausstellung machen, in der von Rassismus Betroffene nicht Inhalten ausgesetzt sind, die sie nicht sehen möchten; sie müssen mindestens die Chance haben, zu entscheiden. Daher die Triggerwarnungen. Vor zehn Jahren hätte eine Ausstellung wie unsere noch Dinge beinhaltet, die man heute bewusst weglässt. Das Bewusstsein dafür, was unter gewissen ethischen Grundsätzen adäquat im öffentlichen Raum gezeigt werden kann, hat sich stark entwickelt.

Ein Glossar erklärt verschiedene Begriffe in Zusammenhang mit Afrika und inwiefern ihr Gebrauch adäquat oder problematisch ist. Fettnäpfchen zu vermeiden ist gar nicht so einfach…

Ich arbeite seit 17 Jahren bei den «Basler Afrika Bibliografien» und selbst ich finde es schwierig, in diesem Bereich zu navigieren. Sprache und Vorstellungen ändern sich laufend. Was ich im Rahmen dieses Projekts wirklich verstanden habe, ist, wie wichtig es ist, auf Betroffene zu hören. Der Massstab ist nicht, was man selber als rassistisch empfindet oder nicht, denn man ist nicht betroffen. Es tut uns als privilegierten Personen überhaupt nicht weh, Begriffe, die Betroffene als diffamierend oder beleidigend empfinden, zu ersetzen. Es gilt, Betroffene zu schützen, indem wir entfernen, was einer nicht privilegierten Person Schaden zufügt. Und ich meine, dass wir auf dieser Ebene schnell zu einem Konsens kommen. Das hat nichts mit Wokeness zu tun, sondern mit gesundem Menschenverstand.

Wie ist das Verhältnis zwischen Basel und Afrika heute?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Es findet eine grundsätzliche Entwicklung statt und es gibt tolle Initiativen, die ein Bewusstsein für Problematiken schaffen wollen und gegen Rassismus ankämpfen. Auch die afrikanische Diaspora in Basel ist in den letzten Jahren immer sichtbarer geworden. In vielen Teilen der Gesellschaft besteht aber noch immer ein systematischer Rassismus, zum Beispiel verminderte Chancen auf einen Job oder eine Wohnung bei einem nicht-schweizerischen Nachnamen oder Racial Profiling der Polizei. Das wird insbesondere im «Netzwerk»-Teil der Ausstellung deutlich. Betroffene Menschen kämpfen dagegen, sie wollen gehört werden und sind auch immer lauter. Das gibt mir Hoffnung, auch wenn diese Veränderungen lange brauchen. Ich werte die Veränderungen in den letzten zehn, 15 Jahren aber als ermutigend. Die Tatsache, dass dieses Thema seit einiger Zeit ein Momentum hat, dass sich etwas ändern kann und die positiven Beispiele zunehmen, stimmt optimistisch.

Digitales Portal für Afrikana-Sammlungen

Parallel zur Ausstellung ist mit dem Portal für African Research Collections (PARC) ein Katalog für die Afrikana-Sammlungen am Forschungsstandort Basel entstanden. Erfasst sind die Sammlungen der Universität Basel, Mission 21, den Basler Afrika Bibliographien, des Swiss TPH und des Museums der Kulturen Basel. Neben bibliografischen und archivalischen Sammlungen sind auch ethnografische Objekte, Fotografien, Plakate, Filme/Videos, Tonträger sowie digitale Sammlungen (inkl. audiovisuelle Medien) zu finden. Das Portal kann bei der Recherche helfen, etwa im Rahmen einer Seminar- oder Masterarbeit. «Wichtig ist, dass es genutzt wird und wir ein Feedback bekommen», so Reto Ulrich. «Ich ermutige alle, die mit African Studies zu tun haben, sich das anzuschauen.»


Die Ausstellung Deal with it – Afrikanisches Erbe in Basel ist noch bis am 16. November im Ausstellungsraum der Universitätsbibliothek Basel zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 8.00 bis 20.00 Uhr; Samstag 10.00 bis 20.00 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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