x
Loading
+ -

«Die Begrenzungsinitiative schlägt einen Weg vor, der mit massiven Kollateralschäden verbunden ist»

Rektorin Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Andrea Schenker-Wicki. (Bild: Universität Basel, Christian Flierl)
Rektorin Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Andrea Schenker-Wicki. (Bild: Universität Basel, Christian Flierl)

Ende September 2020 stimmt die Schweiz über die Begrenzungsinitiative ab. Sie verlangt das Ende der Personenfreizügigkeit mit der EU. Wie sich eine Annahme des Volksbegehrens auf die Universität Basel auswirken würde, erläutert Rektorin Prof. Dr. Andrea Schenker-Wicki im Interview.

06. August 2020

Rektorin Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Andrea Schenker-Wicki. (Bild: Universität Basel, Christian Flierl)
Rektorin Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Andrea Schenker-Wicki. (Bild: Universität Basel, Christian Flierl)

Frau Schenker-Wicki, die Universität Basel äussert sich normalerweise nicht im Vorfeld von Abstimmungen – weshalb tut sie das im Fall der Begrenzungsinitiative (BGI)?

Die Universität Basel ist vom Ausgang der Abstimmung direkt betroffen. Eine Beendigung der Freizügigkeit würde bedeuten, dass wir nicht mehr diejenigen Talente bekommen, die wir gerne gewinnen möchten. Zudem müssen wir befürchten, dass das Forschungsabkommen von der EU aufgekündigt wird.

Welche Bedeutung haben die Mobilität und die Kooperation mit den EU-Ländern konkret für die Universität Basel?

Unsere Forscherinnen und Forscher, vor allem auch der Nachwuchs, bewegen sich in wissenschaftlichen Netzwerken, in denen der Wissensaustausch stattfindet, Kontakte geknüpft und Projekte aufgegleist werden. Die EU-Netzwerke sind für unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler enorm wichtig. Ein Beispiel: An rund zwei Drittel der Publikationen, die Schweizer Forschende gemeinsam mit anderen Forschenden veröffentlichen, sind europäische Partnerinnen und Partner beteiligt. Gleichzeitig können unsere jungen Forschenden auch an hoch reputierte Hochschulen ins Ausland wechseln, wo sie ihre Forschung und ihre wissenschaftliche Karriere weiter fortsetzen können.

Die Initianten argumentieren, dass sich die Zuwanderung von Fachkräften auch anders regeln lässt – zum Beispiel mit Kontingenten, wie sie heute schon für Personen aus Drittstaaten gelten.

Wenn wir die Freizügigkeit mit den europäischen Nachbarn beenden und ein Kontingentmanagement einführen, dann führt das zu neuen bürokratischen Hürden, die nicht effizient sind. Statt in die Forschung fliessen die Ressourcen dann in die Bürokratie, und das möchten wir nicht.

Viele der weltweit besten Hochschulen befinden sich ja nicht in der EU, sondern in den USA oder in Grossbritannien. Wären das nicht attraktive Alternativen für Kooperationen?

Tatsächlich befinden sich einige sehr gute Universitäten in den USA. Aber es ist bei weitem nicht so, dass sich nicht auch hervorragende Universitäten in Europa befänden – auch in den osteuropäischen Staaten – und auch in Asien. Im Zusammenhang mit Europa erlauben Sie mir folgenden Vergleich: Die Bevölkerung der USA umfasst rund 330 Millionen Menschen, während in Europa etwa 740 Millionen leben, davon über 500 Millionen in der EU. Das ist ein unglaubliches Potenzial an Talenten, und wir würden gegen alle Vernunft handeln, wenn wir dieses Potenzial, das auf unserem Kontinent vorhanden und von unserer Kultur geprägt ist, nicht einbinden und nutzen würden.

Basler Forschende werben regelmässig Drittmittel aus den EU-Forschungsprogrammen ein, welche die Schweiz mitfinanziert. Wäre es nicht effizienter, direkt in die hiesige Forschung zu investieren und sich den Umweg über Brüssel zu sparen?

Die europäischen Programme sind sehr kompetitiv. Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen sich gegen zahlreiche Mitbewerber aus forschungsstarken Ländern durchsetzen, die sich um die gleichen Fördermittel bewerben. Deshalb sind diese Grants auch so renommiert, und Reputation ist in der Forschung mindestens ebenso wichtig wie das Geld. Würde die Schweiz eine solche Ausschreibung im nationalen Rahmen durchführen, wäre das wie ein «Grümpelturnier» im Vergleich zur Champions League – und in einem «Grümpelturnier» mitzuspielen wäre für unsere Forschenden keine Herausforderung.

Die Universität Basel ist Teil eines grossen regionalen Life-Sciences-Clusters – wie würde sich eine Annahme der BGI auf den Standort auswirken?

Die Attraktivität der Universität für herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Doktorierende und Postdocs würde sinken, und wir müssten damit rechnen, dass sie nicht mehr nach Basel kommen. Damit würde es für die Industrie auch weniger attraktiv, mit der Universität zusammenzuarbeiten. Kommt hinzu: Auch die Industrie hätte grosse Probleme, hochqualifizierte Arbeitskräfte zu rekrutieren und anzustellen. Das könnte dem Life-Sciences-Standort Basel grossen Schaden zufügen, weil Standortdiskussionen sofort wieder aufflammen würden. Dies hätte wiederum negative Folgen für die Universität, weil wir sehr eng mit diesem Cluster verbunden sind.

Wo sehen Sie aktuell die Stärken des Forschungsstandorts Schweiz?

Bei den Pro-Kopf-Ausgaben für Forschung und Entwicklung liegt die Schweiz nach Singapur weltweit auf Platz zwei, Innovationen tragen 70 bis 80 Prozent zum Zuwachs des Bruttoinlandprodukts bei. Das unterstreicht, wie existenziell wichtig der Transfer von Wissen aus der Forschung in die Anwendung für die Schweiz ist. Das neue EU-Rahmenprogramm «Horizont Europa» sieht nun vor, dem Bereich Innovation sowie der Zusammenarbeit von Industrie und Akademie je einen eigenen Schwerpunkt zu widmen, von dem Schweizer KMU dank ihrer Qualitäten und Erfahrungen stark profitieren können. Sie sind auf diese Kooperationen angewiesen, da sie sich oft keine eigene Abteilung für Forschung und Entwicklung leisten können.

Die Schweizer Bevölkerung wächst, und es ist legitim, dass man sich die Frage der Grenzen dieses Wachstums stellt. Was spricht aus dieser Sicht gegen die BGI?

Man kann geteilter Meinung sein, wie sehr die Bevölkerung in der Schweiz weiter anwachsen soll und kann. Aber die BGI schlägt einen Weg vor, der mit massiven Kollateralschäden für Wissenschaft und Bildung in der Schweiz verbunden ist. Eine Annahme der Initiative würde nicht ohne Konsequenzen für die Innovationskraft der Schweiz, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und den Wohlstand bleiben.

Die Begrenzungsinitiative und ihre Folgen für den bilateralen Weg

Am 27. September 2020 stimmt die Schweiz über die Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)» ab. Sie verlangt das Ende der Personenfreizügigkeit mit der EU und hat zum Ziel, dass die Schweiz die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern wieder eigenständig regelt. Da die Personenfreizügigkeit durch die sogenannte «Guillotine-Klausel» mit sechs weiteren Abkommen der Bilateralen I verknüpft ist, würde durch die Kündigung der Personenfreizügigkeit das gesamten Vertragspaket ausser Kraft gesetzt (weshalb die Gegner auch von der «Kündigungsinitiative» sprechen). Namentlich das heutige Forschungsabkommen der Schweiz mit der EU wäre mit einem Ja zur Initiative gefährdet.

nach oben