Vom Biozentrum ins Silicon Valley
Matthias Geering
Seit 16 Jahren zeigt Nico Ghilardis Karriere im Silicon Valley steil nach oben – dank wissenschaftlicher Exzellenz und harter Arbeit.
Point San Bruno Park ist ein exponierter Ort: Von der San Francisco Bay weht der kräftige Wind zum Festland, ein paar Meilen südlich starten die Jets vom International Airport in alle Richtungen dieser Welt. Eine geschwungene Strasse führt zu diesem Aussichtspunkt mit seinen Spazierwegen und Park bänken, und nicht ganz zufällig heisst diese Strasse DNA Way: Hier in South San Francisco liegt der Hauptsitz von Genentech, einer Tochter von Hoffmann-La Roche. Und am 1 DNA Way, im Genentech Building #12, hat Nico Ghilardi seinen Arbeitsplatz.
Ein kleines Büro: Der Schreibtisch ist belegt mit Computer und wissenschaftlichen Dossiers. Im Regal stehen Fachbücher zur Immunologie, daneben ein Velohelm und eine Trinkflasche. An den Wänden Bilder, die Nico in den Bergen, beim Sport zeigen. Der Blick über die hohe Brüstung durch das eher kleine Fenster ist nicht besonders attraktiv: Immergrüne Büsche, Parkplätze, die Vorfahrt. Auf der anderen Seite des Gangs, in den Räumen mit Blick auf die San Francisco Bay, sind die Labors untergebracht. Das ist für Nico Ghilardi «ganz o.k.». Denn längst tickt er so wie die meisten hier im Silicon Valley: Er ist nicht dazu angestellt, die Aussicht aus dem Fenster zu geniessen, sondern arbeitet hart und fokussiert auf ein klares Ziel hin.
Nico Ghilardi wächst im Baselbieter Leimental auf und besucht in Oberwil das Gymnasium. Am Biozentrum der Universität Basel studiert er Molekularbiologie und wird von seinen Professoren Werner Arber, Walter Gehring und Gottfried Schatz für seine Disziplin begeistert. 1994 trifft er auf jenen Mann, der seine Laufbahn entscheidend prägen wird. «Ich wollte meine Doktorarbeit im Bereich der Molekular- und Zellbiologie machen», erinnert sich Ghilardi, «und ich habe mit Radek Skoda einen Betreuer gefunden, der viel mehr war als nur ein Doktorvater.» Professor Radek Skoda, heute Leiter des Departements Biomedizin der Universität Basel, forschte damals im Biozentrum. Und wenn sich Nico Ghilardi an jene Zeiten erinnert, wird er beinahe sentimental: «Radek hat mich unglaublich unterstützt und gefördert. Wenn ich nicht weiterkam, konnte ich ihn jederzeit anrufen, auch nachts, und er kam mir im Labor zu Hilfe.» Schon während seiner Doktorarbeit publiziert er zusammen mit Radek Skoda fünf Papers in wichtigen Journals.
Es war Radek Skoda, der seinem klugen, ehrgeizigen Studenten die Post-Doc- Stelle bei Genentech in South San Francisco vermittelt. 1999 fliegt Nico Ghilardi nach Kalifornien und beginnt, seinen Traum einer Karriere im Silicon Valley zu verwirklichen. Der Anfang war nicht einfach: «Wenn du mit zwei Koffern und ohne Geld in den Taschen hierhin kommst, dann musst du zuerst alles beweisen: dass du ein vorsichtiger Autofahrer bist. Oder dass du deine Rechnungen bezahlst.» Trotzdem fühlt er sich rasch wohl hier, denn die hiesige «I can do it»-Mentalität entspricht seinem Naturell. Er weiss, dass das kein leichtes Spiel sein wird.
«Gratis gibt es hier nichts, aber wer bereit ist, ganz unten anzufangen und hart zu arbeiten, der hat hier die Möglichkeit, sich einen guten Lebensstandard und den Respekt seiner Kollegen zu verdienen.» Ausgezeichnete Forscher aus aller Welt wollen hier Karriere machen, und drei lokale Universitäten von Weltruf (Stanford, UCSF, UC Berkeley) sorgen für zusätzliche Konkurrenz. Also muss man hier umso härter um den Erfolg kämpfen. Für Nico Ghilardi geht die Rechnung auf: 2003 wird seine befristete Anstellung in ein festes Engagement umgewandelt, und heute bekleidet er die Position eines Associate Director und Senior Scientist im Departement für Immunologie.
Seine Erfahrungen aus 16 Jahren Genentech gibt er weiter, als er im April 2015 in San Francisco vor ein paar Dutzend jungen Schweizer Postdocs von seinem Weg erzählt und seine Leitsätze formuliert: «Geh nur dann in die Wissenschaft, wenn es deine Leidenschaft ist – einfaches Geld ist hier nicht zu verdienen.» – «Schau, dass du genügend Frustrationstoleranz hast. Der Weg an die Spitze ist nicht einfach, du musst die Fähigkeit haben, Niederlagen zu verdauen.» – «Arbeite so hart, wie du nur kannst, geh ins beste Labor und arbeite mit den besten Leuten. Von ihnen kannst du am meisten lernen.» Nach seinem Referat sind die Schweizer Postdocs zuerst einmal schweigsam, stellen sich Nico Ghilardi vor und tauschen Visitenkarten aus. Die Bewunderung ist gross. «Wenn hier im Silicon Valley auf deiner Visitenkarte ‹Scientist› steht», sagt ein junger Forscher andächtig, «dann hast du es wirklich geschafft.»
Als Senior Scientist bei Genentech hat Nico Ghilardi das Privileg, 20 Prozent seiner Arbeitszeit der Grundlagenforschung widmen zu dürfen. Dabei konzentriert er sich im Moment auf das Feld der Mikrobiota, jener etwa 100 Billionen Bakterien, die den menschlichen Körper bewohnen, zusammen mehr als ein Kilogramm wiegen und erstaunlicherweise von unserem Immunsystem ignoriert werden. 23 Publikationen auf diesem und anderen Forschungsgebieten hat er in den vergangenen fünf Jahren veröffentlicht. «In diesem Job kann ich mit den klügsten und besten Leuten aller Disziplinen zusammenarbeiten und einen Beitrag zur Grundlagenforschung leisten», sagt Nico Ghilardi. «Gleichzeitig bin ich an der Entwicklung von Medikamenten beteiligt, die möglicherweise die Lebensqualität und die Gesundheit von Patienten massiv verbessern werden.» Letzteres ist eine grossartige Herausforderung, denn «die tief hängenden Früchte sind längst gepflückt, und heute ist es aus mehreren Gründen sehr schwierig geworden, grundlegend neue Wirkstoffe zu entwickeln. Wenn es mir gelingen würde, in meiner ganzen Karriere auch nur einen einzigen Wirkstoff aus meinem Labor zur Marktreife zu bringen, dann wäre das ein fantastischer Erfolg.»
Gegen Abend, wenn der Wind über der San Francisco Bay abflaut, nimmt Nico Ghilardi seinen Fahrradhelm, schwingt sich aufs Rad und fährt nach Hause, in die Hügel des Silicon Valley. Dass er für den Verzicht aufs Auto von Genentech pro Tag 12 Dollar bekommt, ist dabei Nebensache. Motivation ist die nächste Herausforderung: Zusammen mit fünf Kollegen trainiert er für eine Schwimm-Staffel im Lake Tahoe, und da will er natürlich fit sein. Denn im Sport gilt das Gleiche wie in der Wissenschaft: Gratis gibt es nichts, und es zählt in erster Linie die Leistung.
Nico Ghilardi besuchte das Gymnasium in Oberwil/BL und studierte anschliessend am Biozentrum der Universität Basel, bevor er zu Genentech nach San Francisco wechselte: Seit 16 Jahren zeigt seine Karriere im Silicon Valley steil nach oben – dank wissenschaftlicher Exzellenz und harter Arbeit.