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Dossier Migration – Menschen unterwegs (02/2016)

Bessere Therapie bei Rückfällen von Lymphkrebs

Text: Yvonne Vahlensieck

Nicht jeder Rückfall ist ein echter Rückfall – zumindest beim Lymphdrüsenkrebs, dem Lymphom. Eine Studie des Instituts für Pathologie der Universität Basel zeigt, wie das genetische Profil von Tumoren in Zukunft mithelfen kann, die beste Therapie für jeden Patienten zu finden.

Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, zweimal unabhängig voneinander an der gleichen Krebsart zu erkranken? Wesentlich höher, als man denkt. Bei einigen Krebsarten ist dieses Phänomen schon länger bekannt: So kann zum Beispiel eine hohe UV-Belastung in der Kindheit dazu führen, dass jemand im Lauf seines Lebens mehrfach an einem Melanom erkrankt.

Bei den Tumoren des Lymphsystems wurde die Möglichkeit einer Neuerkrankung dagegen bisher kaum in Betracht gezogen. Bildet sich bei einem Patienten ein zweiter Tumor, so gehen die Onkologen oft davon aus, dass dieser direkt vom Primärtumor abstammt. Die Standardtherapie für einen solchen Rückfall ist meist eine aggressive Chemotherapie, unterstützt durch die Transplantation eigener Stammzellen – eine für den Patienten belastende und risikoreiche Behandlung. Die Überlebenschance nach einem Rückfall beträgt nur 25 Prozent.

Wie Rückfälle entstehen

Bisher gibt es bei Lymphomen jedoch kaum Untersuchungen darüber, ob die zweiten Tumore – die sogenannten Rezidive – tatsächlich mit dem Primärtumor verwandt sind und somit eine aggressive Therapie immer die beste Wahl ist. Doch die Forschung auf diesem Gebiet wird immer wichtiger: Die Zahl der Lymphome hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Im Moment liegen sie mit etwa 1700 Neuerkrankungen pro Jahr auf Rang sechs der häufigsten Krebsarten in der Schweiz.

Deshalb hat das Institut für Pathologie von Universität und Universitätsspital Basel jetzt für eine häufige Unterart des Lymphoms erstmals untersucht, wie solche Rezidive entstehen. Dafür analysierte ein Team um Prof. Alexandar Tzankov das Tumorgewebe von 20 Rückfallpatienten, die an diffusem grosszelligem B-Zell-Lymphom erkrankt waren. Diese Krebsart gilt als sehr aggressiv: Heute überleben dank verbesserter Therapien 70 Prozent der Patienten, doch noch vor 30 Jahren lag die Überlebenschance bei nur 20 bis 30 Prozent.

«Früher starben die meisten Patienten, bevor sie überhaupt einen Rückfall erleiden konnten», erklärt Tzankov. Dies ist auch ein Grund dafür, warum es bisher kaum Untersuchungen zu den Rezidiven des diffusen grosszelligen B-Zell-Lymphoms gibt – den Pathologen standen nicht genug Patienten zur Verfügung. Deshalb war es für Tzankov auch ein Glücksfall, dass in den Archiven des Universitätsspitals 20 geeignete Probenpaare lagerten – Gewebefragmente des Primärtumors und des Rezidivs vom jeweils gleichen Patienten.

Ein Stammbaum der Tumore

Für die Studie ermittelten die Forscher mithilfe verschiedener genetischer Analysen den Verwandtschaftsgrad zwischen Primärtumor und Rezidiv. Zunächst bestimmten sie die Regionen des Erbguts, in denen ein Verlust, eine Duplikation oder eine Umlagerung von genetischem Material stattgefunden hatte. Solche Unregelmässigkeiten treten in allen Tumorzellen auf und ergeben, ähnlich wie bei einem Fingerabdruck, für jeden Tumor ein einzigartiges genetisches Profil. In einem zweiten Schritt sequenzierten die Pathologen ausgewählte Genabschnitte, die bei Lymphomen häufig mutiert sind, um dort auch kleinere Unterschiede zu dokumentieren.

Je nach Verwandtschaft zwischen Primärtumor und Rezidiv sieht die Behandlung unterschiedlich aus.
Je nach Verwandtschaft zwischen Primärtumor und Rezidiv sieht die Behandlung unterschiedlich aus.

Die Auswertung dieser Daten lieferte eine Art Stammbaum der Tumore. Es zeigte sich, dass es mindestens drei verschiedene Szenarien für die Entstehung eines Rezidivs gibt: eine direkte, eine indirekte oder gar keine Verwandtschaft zum Primärtumor. Eine direkte Verwandtschaft fand sich bei elf der 20 Probenpaare – das Rezidiv stammte hier, wie bisher angenommen, eindeutig vom Primärtumor ab. In diesen Fällen scheint das übliche aggressive Therapiekonzept sinnvoll zu sein, denn der zweite Tumor ist wahrscheinlich von Zellen gebildet, die gegenüber der ersten Chemotherapie eine Resistenz entwickelt haben.

Bei drei der Probenpaare dagegen fanden sich so gut wie keine gemeinsamen genetischen Veränderungen. Diese Patienten erlitten also keinen eigentlichen Rückfall, sondern erkrankten nochmals neu an einem Lymphom. Wie es jeweils dazu kommen kann, ist unklar, denn über die Auslöser eines Lymphoms ist noch wenig bekannt. Im Verdacht stehen unter anderem bestimmte Herbizide, eine individuelle genetische Veranlagung, Immunschwächen und das Alter – die meisten Betroffenen sind zwischen 60 und 80 Jahre alt. Bei den restlichen sechs Probenpaaren konnten die Pathologen schliesslich nur eine indirekte Verwandtschaft feststellen. Die Gewebeproben hatten zwar einige Merkmale gemeinsam, doch es gab auch grosse Unterschiede. Wahrscheinlich stammen der Primär- und der Sekundärtumor von einer gemeinsamen Vorläuferzelle ab und die beiden haben sich später unabhängig voneinander entwickelt.

Neue Behandlungskonzepte

«Bei einem Drittel bis einem Fünftel der Probenpaare gibt es keine klonale Verwandtschaft», fasst Tzankov die Resultate zusammen. «In diesen Fällen kann man sich bei der Behandlung andere Vorgehensweisen vorstellen.» In Zukunft bleibt einem Teil der Lymphom-Patienten also vielleicht eine kräftezehrende und risikoreiche Therapie erspart. Doch Tzankov betont, dass die Ergebnisse einer so kleinen Fallserie nicht ausreichen, um bewährte Behandlungskonzepte zu ändern: «Neue Therapien müssen immer zuerst in gross angelegten Studien getestet werden. Wir hoffen aber, dass wir mit unseren Ergebnissen das Interesse der Forschergemeinschaft geweckt haben und dass diese Fragestellungen in das Design der nächsten prospektiven Studien einfliessen.»

Trotzdem erstellen die Basler Pathologen schon jetzt im Rahmen der Diagnostik ein genaues genetisches Profil jedes Tumors – und in Einzelfällen können Patienten auch bereits davon profitieren. Tzankov berichtet von der todkranken Patientin eines Kollegen, bei der nach zwei Jahren alle konventionellen Therapien für ein Lymphom-Rezidiv ausgeschöpft waren: «Basierend auf der Erkenntnis, dass das Rezidiv nicht mit dem Primärtumor verwandt war, konnte ihr ein völlig anderes Therapiekonzept angeboten werden. Die Patientin ergriff die Chance – sie hat überlebt und drei Jahre später geht es ihr immer noch gut.»


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