Arbeitszeiten: Wer selbst entscheidet, leistet mehr
Text: Olivia Poisson
Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse, sagt das Sprichwort. Obwohl flexible Arbeitsmodelle wie Home Office und Vertrauensarbeitszeit im Trend liegen, stossen sie in den Chefetagen immer noch auf Bedenken. Der Ökonom Michael Beckmann bestreitet, dass fehlende Kontrolle faulenzende Angestellte bedeutet.
Wie wirken sich die unterschiedlichen Personalstrategien in Unternehmen auf die Leistung ihrer Angestellten aus? Diese Frage treibt Prof. Michael Beckmann von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel seit mehreren Jahren um. Auf der Suche nach Antworten evaluiert er die verschiedenen Instrumente empirisch anhand grosser Datensätze. Dabei konzentriert er sich auf Massnahmen, die Mitarbeitenden mehr Autonomie punkto Arbeitszeit zugestehen. Dahinter steht die These, dass dies ein starkes Motivationsinstrument sein kann. «Ich möchte herausfinden, wie der Faktor Autonomie die Mitarbeiterperformance verändert und welche Implikationen sich daraus für das Management ergeben», so der Ökonom.
Beispiele für solche Arbeitszeitmodelle sind die sogenannte Vertrauensarbeitszeit – auch selbstbestimmte Arbeitszeit genannt – und das Home Office, bei denen die Angestellten weitestgehend selber bestimmen, wann und wo sie ihre Aufgaben erledigen. Im Vordergrund steht die Erledigung vereinbarter Aufgaben, nicht die zeitliche Präsenz. Auf die Dokumentation der Arbeitszeiten wird ganz oder teilweise verzichtet.
Menschenbild beeinflusst Instrumente
Gerade die Arbeit im Home Office ist aber ein umstrittenes Instrument. Viele Arbeitgeber befürchten, dass der eingeräumte Freiraum missbraucht werden könnte. «Der klassische Ökonom denkt bei der Förderung von Motivation eher an Leistungsanreize wie Boni, Leistungsprämien oder Überwachung», sagt Beckmann. Dieser Idee liegt ein Menschenbild zugrunde, das unter dem Begriff Homo oeconomicus bekannt ist und den Menschen als rationalen Nutzenmaximierer ansieht. Damit einher geht eine ziemlich pessimistische Haltung in Sachen Arbeitsbereitschaft. «Den Homo oeconomicus muss man von aussen dazu bringen, dass er das tut, was er soll – er muss extrinsisch motiviert werden.»
Geht man von solchem Verhalten aus, muss man tatsächlich befürchten, dass Arbeitnehmende nur dann Leistung bringen, wenn sie unter Aufsicht stehen. Für Beckmann greift dieses Menschenbild allerdings zu kurz. «Es gibt durchaus Menschen, die sich mit ihrem Job identifizieren, Freude an ihrer Tätigkeit haben oder von Natur aus pflichtbewusst sind – sie verfügen über eine intrinsische Motivation.» Um die bestehende Eigenmotivation dieser Mitarbeitenden zu fördern, so Beckmann, müssen Firmen auf andere Mittel setzen. Grosses Potenzial sieht er dabei in der Mitarbeiterautonomie.
80 Minuten länger
Dieses Jahr veröffentlichten Beckmann und Koautoren eine gross angelegte Studie zur Vertrauensarbeitszeit. Die Ergebnisse zeigten, dass Beschäftigte, die weitgehende Kontrolle über ihre Arbeitsstunden haben, nicht weniger, sondern sogar mehr Arbeitseinsatz liefern. Nach Abzug aller anderen Faktoren arbeiten Angestellte bei Vertrauensarbeitszeit pro Woche durchschnittlich 80 Minuten länger als Angestellte mit festen Arbeitszeiten. «Die Studie widerlegt deutlich die Befürchtungen, dass eine fehlende Arbeitszeitkontrolle zu Faulenzen führt», so Beckmann. Im Gegenteil: Selbstbestimmung scheint für viele Arbeitnehmende ein starkes intrinsisches Motivationsinstrument zu sein. «Das soll nicht bedeuten, dass es nicht auch Angestellte gibt, die ihre Arbeitszeitsouveränität missbrauchen – die empirischen Daten zeigen allerdings, dass dies eine grosse Anzahl nicht tut», erläutert er.
Generell lässt sich sagen, dass selbstbestimmte Arbeitszeitmodelle als Personalinstrumente umso relevanter werden, je höher die Qualifikationen der Beschäftigten und die Komplexität der Aufgaben sind. Als solches habe das Modell auch seine Limitierungen, fügt Beckmann an. So können gewisse Berufsgruppen, die an einen Arbeitsort gebunden sind, kaum von Home-Office-Arbeit Gebrauch machen: Ärzte und Pflegepersonal, Fabrikarbeiter oder Bauarbeiter.
Gegenseitiges Vertrauen nötig
Schwierig wird es, wenn Unternehmen versuchen, den entstandenen Kontrollverlust durch Kontrollinstrumente zu kompensieren. Als Beispiel nennt Beckmann überambitionierte Zielvereinbarungen: Wird den Mitarbeitern einerseits gesagt, dass sie zwar arbeiten können, wann und wo sie wollen, dass sie aber bestimmte Ziele erfüllen müssen, kann das kontraproduktiv wirken. Häufig seien diese Ziele so hoch gesteckt, dass sie nicht realistisch zu erreichen sind, oder sie würden dynamisch immer wieder nach oben angepasst: «Das hat mit Autonomie dann nichts mehr zu tun, und der positive Performanceeffekt kann dadurch verloren gehen.»
Sollten Firmen auf Autonomieinstrumente setzen, ist es wesentlich, dass sie es ernst meinen mit dem Vertrauen. Selbstbestimmte Arbeitszeiten und Home Office funktionieren nur dann, wenn gegenseitiges Vertrauen herrscht. Fühlen sich die Mitarbeitenden überwacht, zerstört das ihre ursprüngliche Eigenmotivation.
Flexibilität kostengünstiger
Trotz aller Bedenken: Arbeiten in den eigenen vier Wänden liegt im Trend. Auch in der Schweiz steigt die Anzahl jener, die zumindest teilweise auf das Büro verzichten. Möglich macht dies nicht zuletzt die moderne Kommunikationstechnik. Das Büro wird entbehrlicher, und viele Menschen schätzen Selbstbestimmung und Flexibilität bei der Zeiteinteilung – gerade im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
«Das Aufkommen von flexiblen Arbeitszeitmodellen hängt auch damit zusammen, dass sich die Tätigkeiten geändert haben. Im Schnitt werden die Arbeitsaufgaben immer anspruchsvoller», sagt Beckmann. Wachsender Wettbewerb und technologischer Wandel stellen hohe Anforderungen an die Flexibilität von Unternehmen und Arbeitnehmenden. Letztere sehen sich konfrontiert mit zunehmenden Arbeitsanforderungen und flexibleren Regelungen.
Autonomie wirkt sich nicht nur positiv auf die Leistung aus, flexible Arbeitszeitmodelle sind auch wesentlich kostengünstigere Personalinstrumente als finanzielle Leistungsanreize. Die Angestellten ihrerseits sparen Zeit und Geld, da oft lange Arbeitswege wegfallen. Für Beckmann steht fest: «Wenn es die Tätigkeit zulässt, dann sind Home Office und Co. eine Win-win-Situation für Unternehmen und Arbeitnehmer.»
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