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Rechner der Zukunft (02/2017)

Die zweite Revolution der Quantenphysik

Text: Dominik Zumbühl

Die Quantenphysik verspricht revolutionäre neue Technologien wie den Quantencomputer – mit weitreichenden Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Universität Basel nimmt seit Jahren eine Vorreiterrolle in der Quantenforschung ein.

Prof. Dr. Dominik Zumbühl
Prof. Dr. Dominik Zumbühl

Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts stellten Physiker wie Max Planck, Albert Einstein, Erwin Schrödinger und Werner Heisenberg unser Verständnis der Natur auf eine neue Grundlage. Mit der Quantenmechanik entstand damals eine Theorie, die die menschliche Vorstellungskraft auf die Probe stellt. Ihre Vordenker waren verblüfft und verstört zugleich. Sie versuchten in Gedankenexperimenten, die paradoxen Konsequenzen der neuen Theorie zu veranschaulichen. Im bekanntesten schildert Schrödinger eine Katze, die – folgt man den Gesetzen der Quantenphysik – lebendig und tot zugleich ist. So absurd solche Überlegungen anmuten: Die Quantentheorie gilt heute als eine zentrale Errungenschaft der modernen Naturwissenschaften. Sie hat unser Weltbild revolutioniert.

Seit rund zwanzig Jahren sorgt die Quantenphysik für eine zweite Revolution. Wissenschaftler führen mit immer neuen Experimenten vor Augen: Wir können die verrückte Welt der Quantenphysik nutzen, um mit ihr nützliche Dinge anzustellen, zu denen wir mit der klassischen Physik nicht in der Lage waren. Hochempfindliche Quantensensoren erlauben es heute, Magnetfelder schneller und genauer zu messen als je zuvor. In naher Zukunft könnte die Quantenphysik abhörsichere Kommunikationskanäle möglich machen. Bereits früher waren medizinische Diagnostikgeräte wie die Magnetresonanztomografie entwickelt worden, die auf den Gesetzen der Quantenphysik beruhen.

Ein Rechner für völlig neue Fragestellungen

Die Quantenphysik hat ein atemberaubendes Innovationspotenzial. Vor den Hintergrund verfolgen Physiker der Universität Basel die Vision eines Rechners, der sich die Gesetze der Quantenmechanik zunutze macht.

Ein Quantencomputer kann eine Vielzahl von Rechenoperationen parallel ausführen; er ist daher unvorstellbar schnell und löst innerhalb von Stunden Probleme, für die heutige Supercomputer Milliarden von Jahren bräuchten. Während aktuelle Spitzenrechner eine Milliarde Transistoren enthalten, wären es bei einem Quantencomputer eine Milliarde Quantenbits (Qubits). Während klassische Bits nur den Zustand 0 oder 1 annehmen können, lassen sich mit Qubits mehr als nur zwei Zustände definieren. Ihre schiere Rechenkraft könnte in Zukunft Antworten auf Fragen ermöglichen, die wir bisher erst gar nicht zu stellen wagten. Denkbar wird etwa, dass wir Moleküle und damit Materialien mit bisher ungekannten Eigenschaften kreieren können: neuartige pharmazeutische Wirkstoffe zum Beispiel. Oder Supraleiter für den verlustfreien Transport von Strom bei Zimmertemperatur. Oder chlorophyllähnliche Stoffe, die Sonnenlicht in nutzbare Energie umwandeln. Bisher wurden innovative Stoffe eher zufällig entdeckt. Dank Quantencomputern könnten Wissenschaftler künftig Materialien mit Wunscheigenschaften gezielt designen.

Der Quantencomputer ist ein grosses Versprechen. An seiner Umsetzung arbeiten erstklassige Forscherteams von Harvard bis Tokio. Eine der Grundlagen ihrer Arbeit ist eine Idee, die der Physiker Daniel Loss vor zwanzig Jahren formuliert hat: Der Drehimpuls (Spin) einzelner Elektronen soll als kleinster Informationsträger eines Quantencomputers genutzt werden. Solche Qubits gelten in Labors rund um den Globus als aussichtsreiche Kandidaten zum Bau eines Quantencomputers.

Der Urheber der Idee, Daniel Loss, arbeitet in Basel. Hier widmet er sich der Entwicklung eines Basler Qubits. Dieses aus einem Halbleitermaterial gefertigte Qubit ist extrem klein und schnell. Silizium ist ein bestens erprobter Werkstoff von Computerchips, Silizium-Qubits haben daher entscheidende Vorteile gegenüber anderen Qubit-Konzepten. Die Entwicklung eines Qubits ist die übergeordnete Zielsetzung der Basler Physik. Zwölf Professorinnen und Professoren arbeiten mit dem Knowhow ihrer Forscherteams auf dieses gemeinsame Ziel hin.

Basler Forscher laufen in der Spitzengruppe mit

Damit kein Missverständnis entsteht: Das Departement Physik der Universität Basel ist kein Industrielabor, das in den nächsten Monaten und Jahren einen Quantencomputer baut. Wir betreiben Grundlagenforschung. Solche Forschung braucht viel Zeit, hat aber das Potenzial, echte Innovationen hervorzubringen.

Zur Erinnerung: Nach der Entdeckung des Transistors 1947 ist ein halbes Jahrhundert vergangen, bis Personalcomputer und Mobiltelefone in unseren Alltag Einzug hielten und unsere Arbeitswelt umpflügten. Der Marathonlauf mit Blick auf den Quantencomputer hat gerade erst begonnen. Firmen wie Microsoft, Google und Intel setzen heute auf den Quantencomputer, weil sie realisieren, dass die zunehmende Miniaturisierung des klassischen CMOS-Chips an Grenzen stösst. Basel hat den Ehrgeiz, in der Spitzengruppe mitzulaufen.

Bisher sind wir gut unterwegs. Basler Physiker haben in den letzten Jahren acht der renommierten ERC-Grants des Europäischen Forschungsrats eingeworben, die letzten beiden durch unsere Professorinnen Jelena Klinovaja und Ilaria Zardo. Die Förderzusagen attestieren unserer Forschung Spitzenniveau.

Die Leuchtkraft der Basler Quantenforschung lockt viele Nachwuchsforscherinnen und -forscher an. Seit Herbst 2016 existiert die Doktorandenschule «Quantum Computing and Quantum Technologies», die zurzeit 20 Doktorandinnen und Doktoranden zusammenbringt. Ebenfalls dank grosszügiger Unterstützung der Georg H. Endress Stiftung können wir ab Januar 2018 einen grenzüberschreitenden Postdoc-Cluster mit der Universität Freiburg einrichten. Zehn zusätzliche Wissenschaftler werden damit im Bereich Quantencomputing arbeiten. Diese Initiative orientiert sich am Vorbild US-amerikanischer Stiftungen, die Postdocs an Top-Forschungsplätzen finanzieren.

Kooperation mit Industriepartner IBM

Wir stehen in der Quantenphysik vor wichtigen Weichenstellungen, die den strategischen Schwerpunkt der Universität Basel weiter stärken werden. Dazu gehört die Teilnahme am milliardenschweren EU-Flagship-Projekt zu Quantentechnologien, das im kommenden Jahr starten soll. Zurzeit bewerben wir uns beim Schweizerischen Nationalfonds um einen Nationalen Forschungsschwerpunkt zum Quantencomputing unter Basler Leitung.

In diesem Forschungscluster wollen wir gemeinsam mit dem Industriepartner IBM und weiteren Partneruniversitäten Silizium-Qubits auf der Grundlage von Elektronenspins bauen. In zwölf Jahren – so das ambitionierte Ziel – wollen wir eine Anordnung von fünfzehn Qubits unter voller Kontrolle haben. Das ist dann noch kein Quantencomputer, aber es ist ein Blueprint für einen Quantenchip.

Die ersten Konzepte für einen Quantencomputer sind seinerzeit in Europa entstanden. Auf dieser Basis haben wir heute die Chance, die Grundlagen für ein neues Silicon Valley zu legen. Die Forschung am Quantencomputer ist ein Investment in eine Zukunftstechnologie und damit in das industrielle Fundament der Schweiz. In unseren Laboren wächst zudem eine Generation von Fachleuten heran, die diese Zukunftstechnologie verstehen, handhaben und vermitteln können. Nur mit ihnen kann es gelingen, die zweite Revolution der Quantenphysik für die Gesellschaft fruchtbar zu machen.


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