Münzwürfe können helfen.
Text: David Herrmann
Wer vor schwierigen Entscheidungen eine Münze wirft, kann es sich leichter machen. Man braucht sich ja nicht an das Zufallsergebnis zu halten – aber es könnte Emotionen und Denkprozesse anregen.
Entscheiden fällt schwer. So auch einem jungen Juristen: Nach Abschluss seines Studiums hatte er zwei verlockende Stellenangebote auf dem Tisch. Einmal in einer grossen Kanzlei mit gutem Gehalt und Karriereaussichten, aber langen Arbeitszeiten und vielen Überstunden. Dem stand ein Angebot einer kleineren Kanzlei gegenüber. Gehalt und Karrieremöglichkeiten waren hier nicht so rosig, dafür versprachen die Arbeitszeiten ein hohes Mass an Flexibilität. Was tun? Der junge Mann wog Argumente ab, schrieb Pro- und Kontralisten und kam doch nicht zu einer Entscheidung. Da warf er eine Münze mit dem Ergebnis: die grosse Kanzlei. Doch damit fühlte er sich überhaupt nicht wohl und entschied sich für die andere Stelle.
Der Jurist stand am Anfang eines Forschungsprojekts der Universität Basel: Hier hatte eine Sozialpsychologie-Gruppe mit Mariela Jaffé, Leonie Reutner, Maria Douneva und Rainer Greifeneder im privaten Umfeld schon seit einiger Zeit beobachtet, wie schwer vielen Leuten Entscheidungen fallen. «Auch ich selbst stand vor meinem Doktorat in Basel vor einer solchen Wahl: Soll ich in der Wirtschaftsberatung bleiben oder in die Wissenschaft wechseln?», erzählt Jaffé. Sie entschied sich für die Stelle im Team von Prof. Dr. Rainer Greifeneder an der Fakultät für Psychologie. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen wollen im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts herausfinden, warum uns ein Münzwurf bei der Entscheidungsfindung helfen kann.
Verlockendes Fünf-Gänge-Menü
Ausgangspunkt dafür waren Studien, bei denen sich die Probanden und Probandinnen ein Fünf-Gänge-Menü zusammenstellen durften. Die offerierten Speisen waren alle sehr verlockend, was die Wahl erschwerte. Vor jeder Entscheidung warfen die Teilnehmenden eine Münze, wobei das Ergebnis nur als Entscheidungshilfe und nicht als Vorgabe betrachtet werden sollte. Damit unterscheidet sich dieser Münzwurf von jenem, der aus dem Sport – etwa zur Platzwahl im Fussball – bekannt ist; dort ist das Ergebnis bindend. Die Untersuchung zeigte tatsächlich: Die Münze hilft bei der Entscheidungsfindung. Eine zweite Untersuchung, diesmal mit einem Würfel anstelle der Münze, kam zum selben Ergebnis.
Münze und Würfel wirken als sogenannte Katalysatoren und erleichtern so die Wahl, sagt Jaffé: «Mit der Münze legt man sich für eine der Möglichkeiten fest. Diese wird auf einmal konkret und damit greifbar. Das löst Emotionen aus: Bin ich mit der Wahl einverstanden oder nicht? Wie gehe ich mit dem Ergebnis um?» Die Befragung zeigte denn auch, dass sich die Probanden und Probandinnen, ganz wie in der Untersuchungsanlage vorgegeben, nicht immer an das Ergebnis hielten. Wenn sie mit dem Ergebnis der Münze nicht zufrieden waren, konnten die Teilnehmenden auch eine gegenteilige Entscheidung fällen. Ganz so wie der junge Jurist, dem die Münze gezeigt hat, was er nicht wollte.
Auf einmal wird die Intuition sichtbar
Eine so simple und alltägliche Praxis wie der Münzwurf kann uns tatsächlich von der Qual der Entscheidungsfindung erlösen. Damit füllt die Arbeit der Basler Forschungsgruppe eine Lücke: Bisherige Untersuchungen hatten sich jeweils auf das Beispiel des Münzwurfs im Fussball konzentriert, wo er die Rolle eines Entscheiders übernimmt. Die Überlegung, dass ein Münzwurf auch eine Katalysatorfunktion übernehmen kann, ist hingegen neu. Diese Praxis kann uns helfen, unsere Intuition sichtbar zu machen, und uns mit unserem Bauchgefühl zu verbinden.
«Als Nächstes interessiert uns, ob es in der Akzeptanz der Münzwahl Unterschiede gibt zwischen den verschiedenen Entscheidungstypen, die bei den Menschen zwischen rational und intuitiv liegen können», sagt Jaffé. Erste Ergebnisse zeigen, dass Personen, die eher aus dem Bauch heraus entscheiden, besser mit der Idee des Münzwurfs umgehen können. Je nach Zufriedenheit mit dem Ergebnis können sie so einen eigenen Entscheid fällen. «Für rational entscheidende Menschen scheint der Münzwurf hingegen keine präferierte Entscheidungsstrategie zu sein», erklärt die Psychologin.
Vertrackt wird es dann, wenn jemand das Ergebnis des Münzwurfs ablehnt und eine gegenteilige Entscheidung trifft, diese sich aber im Nachhinein als Fehler entpuppt. «Da gibt es durchaus Leute, die der so handelnden Person eine grössere Verantwortlichkeit für das negative Ergebnis zuschreiben», so Jaffé. Doch könnte im umgekehrten Fall die Münze auch eine Dopplerfunktion übernehmen. Dann nämlich, wenn sie sich mit der eigenen Entscheidung deckt. «Die Probanden und Probandinnen könnten sich dann in ihrer Meinung bestärkt fühlen und werden gleichzeitig von anderen als eher für das Ergebnis verantwortlich bewertet, als wenn sie einfach den Zufall entscheiden lassen.»
Entscheiden heisst verzichten
In der privaten Praxis könne uns der Münzwurf eine Hilfe sein und für uns Entscheidungen erleichtern. Es sei aber auch vorstellbar, diese Erkenntnisse ins Berufsleben zu übertragen, sagen die Psychologinnen und Psychologen. So könnten Entscheidungsträger in Firmen entlastet werden, indem sie in schwierigen Situationen mit einer Münze testweise entscheiden. Wichtig sei dann aber, dass sie die Gefühle und Überlegungen, die letztlich zum Entscheid geführt haben, auch mit Fakten unterlegen. «Wenn ein Manager oder eine Managerin sagt, für einen Entscheid eine Münze geworfen zu haben, kommt das wohl nicht so gut an», sagt Jaffé lächelnd.
Wir wählen jeden Tag unzählige Male zwischen verschiedenen Optionen. Jeder Entscheid bedeutet immer auch Verzicht auf etwas anderes. Der Jurist verzichtet zum Beispiel auf Geld und Karriere zugunsten von Zeit und Flexibilität. In einem Folgeprojekt will Jaffé untersuchen, wie sich die Ergebnisse unterscheiden, wenn von Anfang an klar ist, worauf die Probanden verzichten. Konkret zeigt sie Studierenden der Psychologie entweder ein Snickers oder Smarties, beides zwei sehr beliebte Snacks. Die Münze wählt wiederum für die Probanden – auch hier als Entscheidungshilfe und nicht bindend.
Die Forscherin erwartet, dass in dieser Situation Verzichtsgedanken durch das Ergebnis des Münzwurfs stärker präsent sein werden: «Denn die Probanden und Probandinnen sehen direkt, worauf sie verzichten, wenn sie sich gegen die Münze entscheiden.» Ob die Testpersonen am Ende mit ihrer Wahl zufrieden sind, wurde allerdings noch nicht untersucht. Vielleicht ändert ja auch der Jurist irgendwann seine Meinung und wird später doch noch auf Karriere setzen.
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