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Familien im Wandel. (02/2020)

Keine Spur coronamüde.

Text: Irène Dietschi

Sie war ein Shooting-Star der Klinik für Infektiologie. Dann kam Corona – und Sarah Tschudin Sutter stand vor ihrer bisher grössten Herausforderung. Sie hat sie glänzend gemeistert.

Prof. Dr. Sarah Tschudin Sutter. (Foto: Andreas Zimmermann)
Prof. Dr. Sarah Tschudin Sutter. (Foto: Andreas Zimmermann)

Als Matthias Egger, Präsident des Schweizerischen Nationalfonds, Ende März im Auftrag des Bundesrats die «Swiss National Covid-19 Science Task Force» zu besetzen hatte, präsentierten sich ihm einige Knacknüsse. Zum Beispiel die Expertengruppe «Infektion, Prävention und Kontrolle»: Wer sollte die leiten? «Zur Auswahl standen Fachleute, die zweifellos hochverdient waren», erzählt Egger. «Aber es waren alles alte Männer.»

Er jedoch habe jemand Unverbrauchtes gesucht, «eine Person, die die Situation mit einem frischen Blick betrachten würde.» Und so zögerte der damalige Task-Force-Leiter nicht, als ihm aus Basel von zwei Schwergewichten des Schweizer Wissenschaftsbetriebs eine jüngere Infektiologin empfohlen wurde: Sarah Tschudin Sutter, Professorin für Infektionsepidemiologie an der Universität Basel und leitende Ärztin am Universitätsspital Basel. Matthias Egger: «Ich kannte Frau Tschudin Sutter nicht, aber ich rief sie sofort an.»

Es ist ein Freitagmorgen Anfang September, als ich Sarah Tschudin Sutter in ihrem Büro auf der Infektiologie des Unispitals Basel besuche, eine Maske vor Mund und Nase wie sie. Noch liegt der Tag vor ihr, der vollgepackt ist mit Besprechungen und viel Organisatorischem, insbesondere für den Konsiliardienst: Bei Tschudin Sutter laufen die Fäden zusammen, damit alle Funktionen besetzt, die Patienten mit Infektionen gut betreut sind. Ihre eigene klinische Tätigkeit hat sie wegen der vielen Aufgaben im Zusammenhang mit Covid-19 deutlich reduzieren müssen.

Matthias Eggers Telefonat von Ende März ist ihr in prägender Erinnerung geblieben. «Es ging alles sehr rasch», erzählt sie – vor sich auf dem Schreibtisch einen Kaffee, den sie vorläufig nicht anrührt. «Er fragte mich, ob ich an der Leitung der Expertengruppe interessiert sei, ich sagte zu und schickte ihm einige Unterlagen zu meiner Person – und ‹zack bumm› war ich mittendrin, bereits am nächsten Abend war die erste Videokonferenz.» Seither habe sie versucht, in diesem Gremium ihr Bestes zu geben. Matthias Egger, der sein Task-Force-Mandat im Juli aufgegeben hat, sagt rückblickend: «Sie war eine äusserst glückliche Wahl.»

Sarah Tschudin Sutter ist 44 Jahre alt, zierlich, das blonde Haar hat sie zu einem Knoten hochgesteckt. Wüsste man es nicht besser, man könnte sie für eine Studentin halten; dabei ist sie eine toughe, respektierte Professorin, die oft 100 Stunden pro Woche arbeitet. Ihre Arbeitsintensität und ihre Effizienz beeindruckten ihn immer wieder, sagt Manuel Battegay, Chefarzt und Professor für Innere Medizin und Infektionskrankheiten, «sie ist eine Führungspersönlichkeit.» Von den 500 Assistentinnen und Assistenten, die er im Lauf der Jahrzehnte betreut habe, sei Sarah Tschudin Sutter eine der Besten.

Dann passierte die Karriere

Sie selbst sagt, sie habe die akademische Laufbahn ursprünglich nicht angestrebt. «Als ich im Studium war», erzählt sie, «hatte ich einzig zum Ziel, eine gute, klinisch tätige Ärztin zu werden, mit einem Facharzttitel in Infektiologie und Innerer Medizin. Weiter dachte ich nicht.»

Doch dann passierte ihr die Karriere fast wie von selbst: Während der fachärztlichen Ausbildung am Unispital Basel wurde ihr bewusst, wie sehr die Infektiologie und interdisziplinäres Arbeiten ihr entsprachen; etwa auf der Intensivstation, wo sie sich besonders der Patienten mit komplexen Infektionen annahm. Sie entdeckte die Freude am wissenschaftlichen Arbeiten, begann, über multiresistente Keime und deren Verbreitung in Spitälern zu forschen.

2015 wurde sie Forschungsgruppenleiterin an der Universität Basel, 2018 folgte die Professur. Und sie merkte, dass sie ein Flair für die Spitalhygiene hat. «Im Unterschied zur klinischen Tätigkeit, die ja sehr patientenbezogen ist, geht es hier mehr um organisatorische Strategien und Massnahmen, damit sich Keime nicht verbreiten.» Rund um dieses Thema hat Tschudin Sutter mehrere Studien publiziert, die auch den Weg in die Praxis gefunden haben.

Eine unglaubliche Zeit

In den letzten Monaten allerdings hat sie ihre Forschungstätigkeit zurückfahren müssen, zugunsten von – wie könnte es anders sein – Covid-19, dem alles dominierenden Thema. Wie hat sie die zurückliegende Zeit erlebt?

Sie zieht für einen Moment die Schutzmaske vom Gesicht und nippt an ihrem Kaffee, der schon fast kalt ist. Es sei eine unglaubliche Zeit gewesen, sagt sie dann, «so intensiv und rasend schnell, wie ich sie noch nie erlebt habe». Besonders herausfordernd: Die Anfänge der Pandemie; als sich die Ereignisse überschlugen, als die schockierenden Berichte aus Norditalien in die Öffentlichkeit gelangten, sich auch im Tessin die Fälle häuften und schliesslich in Basel die ersten Corona-Patienten ins Unispital eingeliefert wurden. «Wir arbeiteten fieberhaft daran, das Spital vorzubereiten, um mit einem Ansturm von Patienten fertig zu werden. Gleichzeitig fragten wir uns angesichts der Bilder aus Bergamo: Was, wenn wir gleichermassen getroffen werden, wie können wir das jemals stemmen?»

Ihre Gedanken kehren oft in den Februar und März zurück, doch neben schwierigen Momenten sei ihr auch viel Schönes haften geblieben: die Solidarität im Spital, der enge Austausch mit Menschen, die sie unter anderen Umständen nicht kennengelernt hätte, die neuen Kommunikationserfahrungen auf den digitalen Plattformen, die geballten Forschungsergebnisse aus allen Ecken der Welt. Und auch: die kurzen Kaffeepausen mit ihrem Ehemann, einem Neurologen und Intensivmediziner, der als Kaderarzt auf der Intensivstation tätig ist. «Wir arbeiten beide sehr viel», sagt Tschudin Sutter, «und so ist es schön, wenn wir einander zwischendurch sehen können.»

Nach der Verschnaufpause im Sommer bereitet sich das Unispital nun auf die kältere Jahreszeit vor. Bei tieferen Temperaturen können sich Coronaviren, aber auch Grippe- und andere respiratorische Viren vermehrt ausbreiten. «Die Herausforderung ist: Die Symptome lassen sich kaum voneinander unterscheiden», sagt Tschudin Sutter. Zudem sei noch nicht restlos geklärt, wie die verschiedenen Krankheitserreger im Körper interagieren, ob man zum Beispiel gleichzeitig an Covid und Grippe erkranken könne. «Wie gehen wir diagnostisch vor? Wie gehen wir spitalhygienisch vor? Das sind wir zurzeit am Planen, und wir entwickeln dabei verschiedene Szenarien.» Ist solche Ungewissheit schwierig auszuhalten, frage ich zum Schluss. Die Infektiologin lacht. «Man muss sich einfach darauf einlassen und sich Pläne zurechtlegen.» Im Wissen darum, dass es vielleicht dann doch ganz anders kommt.

Sarah Tschudin Sutter ist 1976 in Basel geboren. Sie ist Professorin für Infektionsepidemiologie an der Universität Basel und Forschungsgruppenleiterin der Klinik für Infektiologie & Spitalhygiene am Universitätsspital Basel. Hier absolvierte sie auch ihre fachärztliche Ausbildung. 2011–2013 war sie als Postdoc am Johns Hopkins Hospital in Baltimore (USA) und erwarb an der Bloomberg School of Public Health einen Master of Science.

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