Mit Brokkoli-Monstern die Angst besiegen.
Text: Yvonne Vahlensieck
Bis zu einem gewissen Grad sind Ängste bei Kindern normal und sogar nützlich. Wenn die Furcht überhandnimmt, hilft es, sie greifbar zu machen.
In der Beratung bei Ina Blanc geht es kreativ zu. Hier basteln Kinder farbige Blumen, malen gruselige Wesen und formen Skulpturen. Das Ziel: Ängste greifbar zu machen und wirksame Strategien im Umgang mit ihnen zu entwickeln. Die auf Kinder und Jugendliche spezialisierte Psychologin arbeitet beratend und therapeutisch am Zentrum für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie (ZEPP) der Universität Basel.
Doch nicht jedes ängstliche Kind muss gleich zur Psychologin. «Angst ist ein ganz normales Gefühl, das eine wichtige Funktion für das Überleben hat», sagt Blanc. Eltern müssen deswegen also nicht alarmiert sein. Wie die Forschung zeigt, treten in jeder Entwicklungsphase typische Ängste auf: Im Vorschulalter fürchten sich viele Kinder vor dem Alleinsein oder der Dunkelheit. Im Schulalter verlagern sich die Ängste dann eher auf das soziale Umfeld und die Leistung: Werde ich in der Schule ausgelacht? Kann ich im Sport mithalten?
Im Teenageralter kommt dann oft die Angst vor der Zukunft dazu. «Jeder Entwicklungsschritt ist mit etwas Neuem und Unbekanntem verbunden, natürlich macht das Angst», sagt Blanc. «Aber Entwicklung bedeutet ja auch, dass man sich überwindet und weitergeht. Ist der Schritt erst geschafft, dann gibt das Selbstvertrauen.»
Manchmal brauchen Kinder aber professionelle Hilfe: wenn die Angst sehr stark und lang anhaltend ist; wenn es deswegen Probleme in der Familie gibt; oder wenn der Leidensdruck zu gross wird. Solchen Kindern (und ihren Eltern) können Psychologinnen und Psychologen helfen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich die Kinder vor etwas Realem wie beispielsweise Hunden fürchten oder vor etwas Imaginären – etwa einem Monster unter dem Bett.
Detektive auf den Spuren der eigenen Furcht
Blanc erklärt in der Beratung zunächst, was bei Angst im Körper passiert und wie sie durch Gedanken und Verhalten verstärkt, aufrechterhalten oder aber überwunden werden kann. Wie Detektive können Kinder spielerisch ihre dysfunktionalen Gedanken und Reaktionen identifizieren und auch Vorzeichen von Angst wie Herzklopfen oder kalte Hände erkennen. «Dann haben sie noch Zeit, zu handeln und sich selbst zu beruhigen. Wenn die Angst erst einmal zu weit fortgeschritten ist, dann ist man meistens wie gelähmt.»
Ziel ist es, Kompetenzen aufzubauen, damit die Kinder sich den Angstsituationen erfolgreich stellen können. Denn Vermeidung vergrössert die Angst. Wenn Kinder sich nicht trauen, über ihre Ängste zu sprechen, lässt Blanc sie zeichnen. Sie beginnt dabei meist mit etwas Lustigem und eher Harmlosem wie Brokkoli- oder Spinat-Monstern. «Auf dem Bild wird das Monster fass-, form- und somit veränderbar.»
Gemeinsam mit dem Kind überlegt Blanc dann, was gegen das Aufkommen von Angst hilft: Das kann eine ruhige Atmung sein, entspannende Musik hören, mit einem Plüschtier kuscheln oder sich schöne Sachen im Kopf vorstellen. Einfache Ängste, hinter denen sich nicht noch etwas anderes versteckt, lassen sich mit dieser und weiterführenden Methoden in wenigen Sitzungen in den Griff bekommen.
Gene und Erziehung
Aber wie kommt es, dass manche Kinder solche Ängste entwickeln, während andere furchtlos durchs Leben ziehen? Wie Blanc erklärt, haben Forschende verschiedene Risikofaktoren identifiziert. Zum einen spielt die genetische Veranlagung eine Rolle − etwa eine angeborene niedrige Erregungsschwelle für das limbische System im Gehirn, das Angstreaktionen auslöst. Zum anderen trägt aber auch der Erziehungsstil der Eltern dazu bei: So neigen beispielsweise überbehütete Kinder eher dazu, Angststörungen zu entwickeln. Wichtig sei deshalb, dass Eltern ängstliche Kinder dazu ermuntern, kleine Schritte vorwärtszugehen, und dann ein positives Feedback geben. Sie sollen Kinder an das erinnern, was sie alles schon bewältigt haben.
«Ich würde Familien auch immer raten, offen über Emotionen zu sprechen.» So dürfen Eltern ruhig zugeben, dass sie auch manchmal Angst haben – aber den Kindern immer erzählen, wie sie damit fertig werden. So lernen Kinder, dass Angst kein unlösbares Problem ist. Denn: «Es gibt keine guten und schlechten Emotionen, es gibt nur einen guten oder schlechten Umgang damit.»
Kurzer Weg von der Forschung zur Praxis
Das Zentrum für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie (ZEPP) der Fakultät der für Psychologie Universität Basel ist eine nicht gewinnorientierte Praxisstelle. Neben vielen weiteren psychologischen Dienstleistungen bietet das ZEPP Beratungen, Abklärungen und Psychotherapie für Kinder, Jugendliche und Familien an. Dabei fliessen jeweils die neuesten Forschungserkenntnisse mit ein. In Zusammenarbeit mit dem ZEPP wurde an der Universität Basel im Januar 2022 die schweizweit erste Weiterbildung in Kinder- und Jugendpsychologie eidgenössisch akkreditiert.
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