x
Loading
+ -
Krebs. (01/2023)

Kulturelle Vielfalt auf der Krebsstation.

Text: Samanta Siegfried

Der Umgang mit Krankheit und Tod ist kulturell geprägt. Wie sich das zeigt, wenn Kinder mit Migrationshintergrund an Krebs erkranken, untersuchen zwei Basler Medizinethiker.

Kind im Spitalbett mit IV-Leitung
Kinder- und Jugendonkologie: Sprachhürden und kulturell geprägte Ansichten über Krankheit und Tod. (Symbolbild: iStock)

Knapp 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund. Diese kulturelle Vielfalt ist auch im Gesundheitswesen spürbar: Nicht nur stammt ein Teil des Gesundheitspersonals aus anderen Ländern, auch müssen sich die Fachpersonen auf Patientinnen und Patienten mit diversen kulturellen Hintergründen einstellen. Das gilt auch im Umgang mit an Krebs erkrankten Kindern und ihren Familien. Wie erleben beide Seiten den Austausch über Krankheitsverlauf, Therapieoptionen und Prognosen angesichts sprachlicher und kultureller Unterschiede?

«Kinder und ihre Familien fürsorglich zu betreuen, ist für sich allein schon eine grosse Aufgabe», sagt Michael Rost vom Institut für Bio- und Medizinethik, der zusammen mit Milenko Rakic eine Studie zur Sicht verschiedener Berufsgruppen in der pädiatrischen Onkologie in der Schweiz durchgeführt hat. «Die Ergebnisse haben verdeutlicht, dass der sensible Umgang mit Kindern und Familien aus anderen Kulturen zusätzliche Herausforderungen mit sich bringt.»

Hürden im Miteinander

Diese zeigten sich vor allem in Sprachbarrieren, aber auch in unterschiedlichen Wertvorstellungen oder Krankheitsverständnissen. «Es kann zum Beispiel vorkommen, dass Eltern ihrem Kind eine schlechte Prognose nicht mitteilen wollen», sagt Rost, «oder es unterschiedliche Auffassungen über die Behandlungsmethoden gibt.» Dies könne jedoch auch bei Familien ohne Migrationshintergrund vorkommen. Ein anderes sehr stark kulturell geprägtes Thema sei der Tod und der Umgang mit dem Sterben.

Trotzdem würden die Begegnungen von den Fachpersonen generell als bereichernd wahrgenommen. «Die meisten Befragten gaben an, dass sie durch die Interaktion ihre eigenen Wertvorstellungen und etwaige Stereotypen reflektieren können», sagt der Medizinethiker Milenko Rakic. Um die Fachkräfte gerade darin zu stärken, bräuchten sie jedoch mehr interkulturelle Kompetenzen, die ihnen einerseits im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen helfen und sie andererseits befähigen, ihre eigenen kulturellen Vorstellungen zu hinterfragen. Dafür müssten bestehende Angebote wie professionelle Dolmetschende und Kulturvermittelnde oder entsprechende Aus- und Weiterbildungen ausgebaut werden. «Weiterbildungen sollten jedoch auf die jeweiligen Berufsgruppen zugeschnitten sein», betont Rakic.

Denn eine wichtige Erkenntnis der Befragung war, dass die benötigten interkulturellen Kompetenzen zwischen den einzelnen Berufsgruppen variieren. «Ein Sozialarbeiter hat mit anderen Themen zu tun als eine Pflegefachperson, eine leitende Ärztin oder ein Ergotherapeut.» Diesen Unterschieden müsse man gerecht werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen. «Die Ressourcen im Gesundheitswesen sind bekanntlich sehr beschränkt», sagt Rost. «Deswegen müssen wir noch präziser herausfinden, welche Art von Unterstützung wirksam ist.» Es gehe dabei schliesslich auch um die medizinethische Frage nach der gerechten Verteilung knapper Ressourcen.

In einer weiteren Studie untersuchten die beiden Forscher die Qualität der bereits bestehenden Weiterbildungen. Ein Schlüsselresultat: Zur Wirkung einer Weiterbildung werden fast ausschliesslich die Fachpersonen befragt. «Die so wichtige Perspektive der betroffenen Familien fehlt hierbei sehr oft», sagt Rost.

Sicht der Familien

Unter anderem basierend auf dieser Erkenntnis, bereiten die beiden Forscher aktuell eine Befragung vor, bei der die Familien selbst zu Wort kommen sollen, um von ihren Erfahrungen in der pädiatrischen Onkologie zu berichten.

Das sei nicht zuletzt auch aus einer medizinischen Perspektive wichtig: «Aus der Forschung ist bekannt, dass eine negative Erfahrung im Gesundheitssystem, etwa wenn sich jemand unsensibel oder respektlos behandelt fühlt, dazu führen kann, dass die Person in zukünftigen Situationen zu spät medizinische Hilfe sucht», sagt Rost. «Wird hingegen ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, der Kultur, Religion und Spiritualität der Personen sensibel berücksichtigt und so kulturelle Sicherheit schafft, verbessert das die Lebensqualität der Familien oft deutlich.»


Weitere Artikel in dieser Ausgabe von UNI NOVA (Mai 2023).

nach oben