Demokratie im digitalen Zeitalter.
Text: Christian R. Ulbrich, Rechtswissenschaftler*
Christian R. Ulbrich verbindet sein Interesse für Computertechnik mit Rechtswissenschaft und untersucht die Frage, wie die Digitalisierung politische Machtverhältnisse beeinflusst.
«Für Computer habe ich mich schon als Jugendlicher interessiert; meinen ersten Rechner bastelte ich mir selbst zusammen. Dennoch entschied ich mich für ein Jus-Studium, weil es mir ein breiteres Spektrum an Möglichkeiten eröffnete. Die Faszination für die Informatik blieb jedoch und nach dem Studium wollte ich beides miteinander verbinden.
Die Themen Cyber Security, Verschlüsselung und Internetüberwachung interessierten mich besonders. Daher ging ich in meiner Dissertation an der Universität Zürich der Frage nach, wie sich Wifis von verdächtigen Personen überwachen und dazu die Verschlüsselungen von Internetverbindungen hacken lassen; und inwiefern derartige Massnahmen der Strafverfolgungsbehörden mit dem Gesetz vereinbar sind. Neben den rechtlichen Fragestellungen wollte ich insbesondere verstehen, wie Verschlüsselungsalgorithmen mathematisch funktionieren.
Nach Abschluss der Dissertation wechselte ich zu einem global führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen und entwickelte dort Know-how und Beratungsdienstleistungen rund um die Digitalisierungsbestrebungen von Steuerbehörden weltweit.
Mir wurde klar: Die Menschen hatten sich durch die Entwicklungen in der Privatwirtschaft an die Digitalisierungsprozesse gewöhnt und diese immer stärker akzeptiert. Der Staat kann nun auf diesen Zug aufspringen, von den Erfahrungen profitieren und selbst im grossen Stil seine eigene Transformation einleiten.
Doch was bedeutet es für das Funktionieren von Demokratien, wenn sich der Staat immer stärker digitalisiert? Wie wirkt sich das auf die Gewaltenteilung, den Föderalismus, die staatliche Souveränität und auch auf die Freiheit der Bürger und Bürgerinnen sowie Unternehmen aus? Ich wollte mehr wissen und so gab ich meinen gut bezahlten Job zugunsten der Forschung auf. Nun leite ich an der Universität Basel e-PIAF, die Forschungsstelle für Digitalisierung in Staat und Verwaltung.
Was ich bisher über diese Entwicklungen gelernt habe, ist im Sachbuch «Automated Democracy – Die Neuverteilung von Macht und Einfluss im digitalen Staat» zusammengefasst. Einen jährlich erscheinenden Report, der monitort, inwiefern sich staatliche Institutionen an die Digitalisierung anpassen, entwickle ich gerade.
Ich persönlich finde, dass sich der Staat nicht vor der Digitalisierung verschliessen kann. Wichtig ist dabei allerdings, auch das institutionelle Gefüge anzupassen, um Missbrauch vorzubeugen. Nur so können die Menschen auf Dauer von der neuen digitalen Welt profitieren.»
*aufgezeichnet von Noëmi Kern
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