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Einzigartiger Schatz afghanischer Kultur

Das Mausoleum des Emirs in Mazar-e Sharif (Bild: © Stiftung Bibliotheca Afghanica)

Mit der Schenkung der Bibliotheca Afghanica an die Universitätsbibliothek erhält Basel eine der weltweit grössten Sammlungen zu Afghanistan. Das kulturelle Erbe Afghanistans ist von unschätzbarem Wert, da das Land seit Jahrtausenden ein Knotenpunkt für zahlreiche Völker und religiöse Gemeinschaften war. Leider wurde es durch den Krieg fast vollständig zerstört. Paul und Veronika Bucherer hatten die Bibliotheca Afghanica 1975 in Basel gegründet und 2023 an die Universität Basel geschenkt, wo diese einmalige Sammlung nun sukzessive in die Universitätsbibliothek integriert, fachgerecht archiviert und für Forschung und Öffentlichkeit nutzbar gemacht wird.

Herr Bucherer, was hat Sie dazu inspiriert, eine Sammlung über Afghanistan anzulegen?

Aufgewachsen in der Zeit der «Entkolonialisierung» nach dem 2. Weltkrieg, interessierte meine Frau und mich ein Vergleich der Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in ehemals kolonisierten und unkolonisierten Ländern der 3. Welt. Bei der Aufarbeitung unserer Eindrücke nach zwei längeren Aufenthalten in Iran, Afghanistan, Pakistan/Indien und Nepal stellten wir fest, dass im ganzen deutschsprachigen Raum kaum Literatur über Afghanistan in Bibliotheken zu finden war. Wir entschlossen uns deshalb, in enger Zusammenarbeit mit der deutschen «Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft Afghanistan» ein Dokumentationszentrum über Natur, Kultur und Geschichte Afghanistans aufzubauen.

Die Geschichte der Bibliotheca Afghanica ist eng mit den politischen Ereignissen in Afghanistan verbunden. Wie hat sich Ihre Arbeit in diesen turbulenten Zeiten entwickelt?

Wir hatten das Glück, Afghanistan 1971 noch unter König Zaher Shah kennen zu lernen, 1974/75 die Veränderungen nach dem Putsch von Präsident Daud mitzuerleben und im Sommer 1978 Zeugen des hoffnungsvollen Beginns einer neuen Epoche nach der kommunistischen Revolution in Kabul zu werden. Dank guten Beziehungen zur Universität Kabul, zu Ministerien, zu Intellektuellen und zur Königsfamilie erlebten wir hautnah die Folgen der sowjetischen Intervention. Auch erstellten wir jährliche Lageberichte über die Entwicklung der politischen und militärischen Situation, die an alle Schweizer Offiziere und Politiker gingen und durch die Library of Congress im englischen Sprachraum verbreitet wurden. Ein weiterer wichtiger Schritt war die Einrichtung des «Afghanistan-Museums im Exil», um Kulturgüter vor der Zerstörung durch religiöse Fanatiker zu schützen. 2007 wurde das Museum geschlossen und die Kulturgüter auf Wunsch der UNESCO nach Kabul repatriiert.

Die Stiftung hat kürzlich ihren wertvollen Bestand an schriftlichen Zeugnissen und historischen Bilddokumenten der Universität Basel geschenkt. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Anlässlich meines 80. Geburtstags war der Stiftungsrat der Meinung, dass es an der Zeit sei, die Zukunft der Bibliotheca Afghanica abzusichern. Da die Familie Bucherer seit über 600 Jahren eng mit Basel verbunden ist, war die Absicht naheliegend, die Stiftung Bibliotheca Afghanica der Universität Basel zu übergeben. Dies insbesondere, nachdem die Bibliotheca Indica von Alfred Sarasin bei der Gründung der Bibliotheca Afghanica Pate gestanden hatte. Sarasin hatte die Bibliotheca Indica um 1953 der Universitätsbibliothek Basel (UB) vermacht. Nach den radikalen Zerstörungen durch 50 Jahre Krieg und Bürgerkrieg in Afghanistan ist die Bewahrung des Bestandes der Bibliotheca Afghanica auch eine Art von Entwicklungshilfe für den Wiederaufbau eines dereinst friedlichen Afghanistans. Zudem hat sich Afghanistan seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich zu einem bedeutenden geopolitischen Brennpunkt entwickelt.

Welche Projekte und Initiativen plant die Bibliotheca Afghanica und wie können Interessierte diese unterstützen?

Das aktuell wichtigste Projekt ist die Übergabe des Bestandes der Bibliotheca Afghanica an die UB. Dies ist mit einem grossen bibliothekarischen und archivarischen Aufwand verbunden, der hohe Kosten für die UB verursacht und für den die notwendigen finanziellen Mittel beschafft werden müssen. Dabei geht es um die inhaltliche Erschliessung und Digitalisierungsprojekte, die eine bessere Zugänglichkeit ermöglichen. Ebenso wichtig ist die Bearbeitung der historischen Fotografien – solange noch Zeitzeugen zur Verfügung stehen, die Personen und Orte identifizieren können. Dies läuft unter dem Projekttitel «Phototheca Afghanica». Mehr als 5000 historische Abbildungen sind auf der Website www.phototheca-afghanica.ch bereits frei zugänglich. Weitere rund 65'000 Aufnahmen warten auf ihre Identifizierung und Beschreibung. Die UB wird diese Bilddokumentation unter dem Projekt-Titel «Afghanistan Visual Collections» übernehmen und weiter ausbauen.

Was ist Ihre Vision für die Zukunft der Bibliotheca Afghanica?

Die Rolle als Initianten der Bibliotheca Afghanica nähert sich für meine Frau und mich ihrem Ende – aber wir hoffen, dass durch die Schenkung an die UB und die beabsichtigte Übergabe der Stiftung an die Universität Basel die langfristige Bewahrung, Zugänglichkeit und Nutzung gesichert sind.


Kommentar Dr. Alice Keller, Direktorin Universitätsbibliothek

Die Bibliotheca Afghanica gehört zu den weltweit bedeutendsten Sammlungen zu Afghanistan, vergleichbar nur mit der Library of Congress, der British Library oder den Sammlungen in St. Petersburg. Schenkungen dieser Art und Grössenordnung sind entsprechend selten, und eine solche Übernahme ist eine einmalige Chance. Eine inhaltlich verwandte Schenkung erfolgte Mitte des 20. Jahrhunderts durch den Bankier Alfred Sarasin-Iselin (1865-1953), der der Universität die Bibliotheca Indica übergab.

Gerade wenn es um internationale Vernetzung geht, spüren wir schon heute, dass die Bibliotheca Afghanica für Aufsehen sorgt und Interesse weckt. Daraus können sich Kooperationen ergeben. Die UB und die Universität Basel profitieren von dieser Sichtbarkeit. Natürlich entsteht durch eine Schenkung dieser Grössenordnung auch ein finanzieller Bedarf, der sich aus den laufenden oder Stiftungsmitteln allein nicht decken lässt. Daher sind wir aktiv auf der Suche nach Drittmitteln und nach Partnerinstitutionen. Eine besondere Herausforderung bei der Erschliessung der Bestände der BA sind die fremdsprachigen Bücher und Pamphlete in Dari und Paschtu. Auch hier ist die UB gut aufgestellt und hat Fachspezialisten mit den entsprechenden Kenntnissen.

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