Sexuelle Belästigung: «Durch eine personalrechtliche Massnahme kann man nicht alles wieder gut machen»
Zwei ehemalige Studentinnen berichten in der Fernsehsendung «Kassensturz», dass sie von Professoren sexuell belästigt und von der Universität im Stich gelassen wurden. Die Vizerektorin People & Culture nimmt Stellung und zeigt zusammen mit der Koordinatorin Persönliche Integrität auf, wie die Universität den Umgang mit solchen Fällen verbessern will.
11. Dezember 2024 | Redaktion
Frau Braun Binder, die Universitätsleitung hat sich bisher nicht zu den Vorfällen geäussert. Wieso möchten Sie das jetzt tun?
Nadja Braun Binder: Es gibt Studierende, die sich an unserer Universität unsicher fühlen. Das stimmt mich sehr nachdenklich. Wenn das passiert, machen wir als Universitätsleitung unseren Job nicht optimal. Deshalb sprechen wir jetzt öffentlich über die Fälle.
Das Schweigen hat den Anschein erweckt, dass die Universität die Übergriffe unter den Teppich kehren möchte.
Nadja Braun Binder: Über die Prozesse und Strukturen, wie mit solchen Fällen grundsätzlich umgegangen wird, kommuniziert die Universität. Über personalrechtliche Massnahmen hingegen kann die Universität nur in einem eng abgesteckten Rahmen kommunizieren. Inzwischen haben wir in den beiden Fällen gerichtliche Entscheide darüber, welche Dokumente die Universität herausgeben darf beziehungsweise herausgeben muss. Der Journalist des «Kassensturz» hatte sich auf das Öffentlichkeitsprinzip berufen, was ein hohes Gut unseres Rechts darstellt. Es gibt aber auch ein anderes, schützenswertes Gut: das Persönlichkeitsrecht. Nun haben das Appellationsgericht bzw. die Rekurskommission der Universität Basel entschieden, was kommuniziert werden darf und was nicht. Somit wissen wir auch, dass wir beispielsweise nicht öffentlich Stellung nehmen dürfen, um welche Departemente oder Fakultäten es sich handelt – ungeachtet dessen, ob wir das wollen oder nicht. Wir sind nicht in der Lage, durchgehend und vollständig transparent über die Vorfälle zu kommunizieren. Und das macht es schwierig, das Gefühl von Unsicherheit aus dem Raum zu schaffen.
Die Universität hat den Eindruck hinterlassen, dass sie nicht kommunizieren will.
Nadja Braun Binder: Wir dürfen aus rechtlichen Gründen schlicht nicht über alles sprechen. Wir haben bei journalistischen Anfragen immer Stellung genommen, soweit uns das möglich war. Was die Medien mit unseren Antworten gemacht haben, lag dann nicht mehr in unserer Hand.
Für die Universität sind die Fälle längst abgeschlossen, für die beiden Frauen jedoch nicht. Ihre anhaltende Verletzung ist im «Kassensturz»-Beitrag deutlich zu spüren. Wäre es nicht möglich gewesen, jenseits der juristischen Beurteilung Empathie zu zeigen und Bedauern auszudrücken?
Nadja Braun Binder: Ja, die Belastung der beiden Frauen ist noch immer spürbar und das tut mir sehr leid. Ich war noch nicht Vizerektorin an der Universität Basel, als die beiden Fälle aufgearbeitet wurden. Aber ich weiss, dass die Universitätsleitung in beiden Fällen mit den Anzeigenstellerinnen je ein Gespräch geführt hat, in welchen sie sehr klar ihr Bedauern ausgesprochen hat. Im Weiteren wurden auch Therapie- und Anwaltskosten übernommen. Das vermag nicht alles ungeschehen zu machen, das ist mir bewusst.
Aber das öffentliche Statement «Wir bedauern, was passiert ist», hat es nicht gegeben.
Nadja Braun Binder: Ein öffentliches Statement hat es tatsächlich nicht gegeben und ist auch für allfällige zukünftige Fälle kaum möglich, weil uns das Recht für die öffentliche Kommunikation sehr enge Grenzen setzt. Aber gegenüber den betroffenen Frauen wurde das Bedauern dennoch klar geäussert.
Bei beiden Fällen wurde die Untersuchung von einer externen Juristin geführt. Hat sich dies bewährt?
Nadja Braun Binder: Ich glaube, um bei Untersuchungen die notwendige Unabhängigkeit zu gewährleisten, kann eine solche nur von einer externen, weisungsungebundenen Stelle durchgeführt werden. Die Anwältin hat sowohl den Sachverhalt ermittelt als auch eine Beurteilung erstellt und der Universität Handlungsempfehlungen gegeben, an denen sich die Universität orientiert hat. Dies würden wir auch in Zukunft so handhaben. Aufgrund der Erfahrungen vor allem mit dem ersten Fall hat die Universität aber auch erkannt, dass die Regelungen überarbeitet werden mussten und eine interne Stelle für Persönliche Integrität geschaffen werden musste, an die sich Betroffene wenden können.
Sie sind selbst Juristin. Waren die Massnahmen Abmahnung mit Kündigungsandrohung aus Ihrer Sicht angemessen?
Nadja Braun Binder: Als Juristin empfinde ich diese Massnahmen als absolut angemessen. Aber es ist in solchen Fällen häufig nicht eine rein juristische Angelegenheit: Ich verkenne natürlich nicht, dass betroffene Personen trotzdem lange unter den Erlebnissen leiden können. Eine Verunsicherung und Verletzung kann man durch eine personalrechtliche Massnahme nicht einfach wieder gut machen. Aber juristisch muss man das trennen. Die Universität ist eine öffentlich-rechtliche Institution, sie untersteht dem öffentlichen Recht. Wir können nur im Rahmen des Gesetzes handeln.
Beide fehlbaren Professoren wurden abgemahnt. Für den Wiederholungsfall wurde die Kündigung angedroht. Wie kontrollieren Sie das?
Nadja Braun Binder: In der Abmahnung steht: Die Universität erwartet ein tadelloses Verhalten bis zum Ausscheiden aus der Universität. Und das erwarten wir im Prinzip von allen, insbesondere von unseren Professorinnen und Professoren, die eine Vorbildfunktion haben. Aber wir können als Universität keine Überwachung unserer Angehörigen institutionalisieren und die Professoren auf Schritt und Tritt begleiten. Wir setzen auf eine Vertrauenskultur, die wir auch weiterhin leben möchten.
Gleichzeitig können wir nur reagieren, wenn wir eine entsprechende Meldung erhalten. Dazu haben wir eine interne Stelle für Persönliche Integrität geschaffen, an die man sich wenden kann, wenn eine Grenze überschritten wird. Wenn wir ein solches Signal erhalten, nehmen wir das sehr, sehr ernst. Die Universität hat nie weggeschaut und wird das auch in Zukunft nicht tun.
Wie stellen Sie sicher, dass es in Zukunft nicht zu weiteren Übergriffen kommt?
Nadja Braun Binder: Zwischen Professoren bzw. Professorinnen und Studierenden oder Doktorierenden muss eine professionelle Distanz herrschen, die jederzeit gewahrt werden muss. Das das ist allgemein verbindlich. Unsere rechtlichen Rahmenbedingungen geben vor, dass unsere Angehörigen eine Fürsorgepflicht und eine Verantwortung haben, die es erfordert, dass man sich mit dem nötigen Respekt begegnet. Darüber hinaus haben wir einen Code of Conduct, der eine Kultur formuliert, die wir alle an der Universität Basel leben und mittragen müssen. Wir wirken darauf hin, dass diese Verpflichtungen bekannt sind und gelebt werden.
Ein Kritikpunkt ist, dass Doktorandinnen weiterhin bei den beiden Professoren arbeiten, ohne von deren Verfehlungen zu wissen.
Nadja Braun Binder: Ja, ich verstehe, dass das eine ungewöhnliche Situation ist. Als Universität haben wir eine Schutzpflicht und eine Fürsorgepflicht gegenüber allen unseren Angehörigen, also sowohl gegenüber den Doktorierenden als auch gegenüber unseren Professorinnen und Professoren. Und man musste den abgemahnten Professoren eine Chance geben sich zu verbessern und hat in dieser Konstellation keine Notwendigkeit gesehen, über das bestehende Instrumentarium hinaus erhöhte Schutzmassnahmen anzuordnen. Die Universität hat jeweils die Abmahnung und die Kündigungsandrohung ausgesprochen. Das sind die Massnahmen, die die Universitätsleitung in diesem Moment gestützt auf die externe Untersuchung für angemessen gehalten hat.
Sie sagen, die Universität habe getan, was im Rahmen ihrer Möglichkeiten ist, und trotzdem sind die Studierenden stark verunsichert. Wie gehen Sie damit um?
Nadja Braun Binder: Das ist wirklich etwas, was mich extrem nachdenklich stimmt. Wir müssen auf jeden Fall ein stärkeres Bewusstsein für die Möglichkeiten schaffen, die wir an der Universität haben, um sich gegen eine Verletzung der persönlichen Integrität zu wehren. Wir werden als Universitätsleitung zusammen mit dem Vorstand der Skuba und einer Vertretung von Studierenden aus allen Fakultäten sprechen, um genau hinzuhören, wo eine Verunsicherung besteht und was wir machen können, um ihr entgegenzuwirken. Und wenn ich noch anmerken darf, was mir ganz wichtig ist, und das betone ich aus Sicht der Universitätsleitung: Wir meinen das ernst mit der Nulltoleranz. Wir akzeptieren keine Verletzung der persönlichen Integrität, weder Diskriminierung noch Mobbing noch sexuelle Belästigung.
Die Universität verfügt seit 2020 über ein Reglement zur Persönlichen Integrität. Hat sich dieses Reglement bewährt?
Nadja Braun Binder: Wir haben bereits 2019 die Koordinationsstelle Persönliche Integrität eingerichtet und damit die Möglichkeit geschaffen, als Betroffene zur Koordinationsstelle zu gehen, um sich niederschwellig beraten zu lassen. Solange es bei einer Beratung bleibt, wird das nicht weitergetragen, das ist absolut vertraulich, aber es werden auch keine Massnahmen ergriffen. Erst wenn eine Anzeige gestellt wird, folgt eine Untersuchung. Diese muss rechtsstaatlichen Verfahrensvorgaben genügen, was unter anderem bedeutet, dass man die beschuldigte Person darüber informiert, dass eine Untersuchung gegen sie läuft. Und es bedeutet auch, dass die beschuldigte Person die Gelegenheit hat, Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen und erfährt, wer die Vorwürfe erhoben hat. Die anzeigende Person hat ihrerseits ebenfalls Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Beiden Seiten wird Gehör verschafft. Wir haben unser Reglement diesen Sommer nochmals aktualisiert und planen unsere Strukturen und Prozesse weiter anzupassen, wo nötig. Mit dieser Aktualisierung, die auf den 1. Januar 2025 in Kraft tritt, soll auch dafür gesorgt werden, dass die Verfahren nicht zu lange dauern, da dies eine sehr grosse Belastung für die Betroffenen darstellen kann. Die Verbesserung ist ein permanenter Prozess, der nie aufhört.
Frau Wagner, Sie leiten die Koordinationsstelle Persönliche Integrität. Wenn eine der beiden betroffenen Frauen zu Ihnen gekommen wäre, was wäre das Ziel der ersten Beratung gewesen?
Cora Wagner: Das Ziel dieser ersten Beratung ist immer, der betroffenen Person einen vertraulichen Rahmen zu ermöglichen, um über das Ereignis zu sprechen und herauszufinden, was ihr Anliegen ist. Ich informiere über die Handlungsmöglichkeiten und Prozesse. Das unterstützt die Person dabei für sich herauszufinden, welche Schritte sie gehen möchte. Das ist sehr individuell, manche wollen einfach nur ihre Erlebnisse melden oder wissen, welche Möglichkeiten sie haben und andere äussern den Wunsch nach einer internen Untersuchung. Ob sie eine Anzeige einreichen möchte, liegt immer in der Entscheidung der betroffenen Person. Das ist mir wichtig zu betonen.
Mit welchen Themen kommen die Leute zur Koordinationsstelle?
Cora Wagner: Das Spektrum an Themen und Eskalationsstufen ist sehr breit. Personen kommen bei Mobbing, Diskriminierung oder sexueller Belästigung – aber häufig auch in Fällen, die sich nicht in eine dieser drei Verletzungen einordnen lassen. Manchmal sind sich die Personen unsicher, wie sie eine Situation einschätzen sollen oder ob und wie sie ein Gespräch suchen können. Da kann ich sie bei der Gesprächsvorbereitung unterstützen oder beim Gespräch auch mit dabei sein, wenn dies von allen Beteiligten gewünscht wird. Und am anderen Ende des Spektrums liegt dann eine interne Untersuchung, weil sich eine Person in ihrer persönlichen Integrität verletzt fühlt.
Dabei erlebe ich oft, dass die Leute zu lange warten, bis sie zu uns kommen. Konflikte, die lange gären, werden dann sehr komplex und kompliziert. Dem möchten wir mit mehr Aufklärungsarbeit entgegenwirken. Die Leute sollen so früh wie möglich zu uns kommen, damit Konflikte nicht eskalieren. Um diese Präventionsarbeit zu leisten, wird die Fachstelle auch um eine zusätzliche Person erweitert.
Damit kommen Sie einer Forderung nach, die nach den beiden Fällen laut wurde. Sind die Fälle denn so zahlreich, dass die Fachstelle personell aufgestockt werden muss?
Cora Wagner: Die Koordinationsstelle übernimmt zum einen die Fallarbeit, zum anderen ist sie für die Präventionsarbeit zuständig, und wir möchten beidem gerecht werden. Man kann nie vorhersehen, wann Anfragen für Beratungen kommen, und diese haben natürlich immer Priorität. Das hat aber auch zur Folge, dass die Präventionsarbeit manchmal warten muss. Gleichzeitig stellen wir fest, dass das Interesse an Informationen und Beratung stark zugenommen hat. Und nicht nur von betroffenen Personen: Auch Vorgesetzte suchen vermehrt die Beratung auf, und Fakultäten und Departemente laden mich für Inputs ein. Nicht, weil sie selbst einen konkreten Fall haben, aber weil sie sich für dieses Thema interessieren und präventiv darauf einwirken möchten, dass es gar nicht zu Überschreitungen kommt.
Persönliche Integrität: Aufwertung zur Fachstelle
Die Koordinationsstelle Persönliche Integrität dient als interne Anlauf- und Beratungsstelle für Angehörige der Universität Basel, die sich in ihrer persönlichen Integrität verletzt fühlen, sei es durch Mobbing, Diskriminierung oder sexuelle Belästigung. Zudem informiert sie über universitäre und ausseruniversitäre Unterstützungsangebote. Stellt die betroffene Person im Fall einer sexuellen Belästigung Anzeige nach dem Reglement zum Schutz der persönlichen Integrität an der Universität Basel, dann wird für die Durchführung einer Untersuchung eine externe, weisungsungebundene Anwältin beauftragt, die auf sexualisierte Gewalt spezialisiert ist.
Auf das Jahr 2025 wird die Koordinationsstelle Persönliche Integrität zur Fachstelle aufgewertet und personell um eine zweite Person erweitert. Zudem wird die Fachstelle, die bisher Teil des Ressort Organizational Culture war, direkt der Vizerektorin People & Culture unterstellt und damit näher an das Rektorat herangeführt.