Nordistik: Kleines Fach ganz gross
Pippi Langstrumpf, IKEA, die Wikinger oder das Bildungsmodell: Skandinavien ist auch in der Schweiz omnipräsent und die Nordistik längst kein Orchideenfach mehr. Dieses Jahr feiert die Schweizer Nordistik in Basel und Zürich ihr 50. Jubiläum. Warum die Nordistik bis heute fasziniert, erzählt Prof. Dr. Lena Rohrbach, Professorin für Nordische Philologie, im Interview mit Uni News.
07. März 2019
Frau Rohrbach, 1968 haben die Universitäten Basel und Zürich ein gemeinsames Ordinariat für Nordische Philologie eingerichtet. Es war eine besondere Zeit: Die Jugend war wild und suchte die Konfrontation, sie trug Blumen im Haar und zelebrierten die freie Liebe. Wie kommt man auf die Idee, in dieser Zeit eine Schweizer Nordistik zu gründen?
Eigentlich ist das kein Schweizer Phänomen. Die Nordistiken wurden damals im gesamten deutschsprachigen Raum gegründet – wieder.
Warum wieder?
Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es ein Interesse vor allem für die mittelalterliche nordische Tradition und auch nordistische Lehre, allerdings als Teil der Nachbarphilologien Germanistik und Anglistik. Aber nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es einen Bruch, die Nordistik galt nun als «Unfach», da viele der Kollegen Affinitäten zum Nationalsozialismus hatten und somit belastet waren.
Das Interesse am Norden blieb jedoch weiterhin bestehen?
Ja, und im Laufe der 60er Jahre geriet aus den aktuellen kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Skandinavien heraus dann auch der moderne Norden in den Blick, zum Beispiel das Wohlfahrtsmodell Schweden, aber auch die jüngere skandinavische Literatur. Es wurde immer deutlicher, dass die Nordistik viel mehr ist als nur ein Teil der Vorgeschichte der deutschen oder englischen Literatur und Sprache. Der Spirit des Aufbruchs – dieser Geist der 68er Jahre, wenn man so will – wurde also durchaus mit aufgegriffen. Auch im Hinblick auf liberalere skandinavische Gesellschaftsmodelle.
Und die spielen ja bis heute mit hinein in diese Attraktivität Skandinaviens. Was sind denn sonst noch Themen, die begeistern?
Die Wikinger, altnordische Mythologie, grosse internationale Autoren wie Henrik Ibsen, August Strindberg, Hans Christian Andersen oder Astrid Lindgren. Aber auch Design, nordische Krimis und die skandinavische Bildungspolitik sind Themen, die ein allgemeines Interesse am Norden begründen und die Studierenden in unser Fach locken.
Und was lockte Sie selbst ins Fach?
Ich habe tatsächlich eine familiäre Anbindung an den Norden. Und das ist übrigens auch bei unseren Studierenden oft so. Viele haben auch skandinavische Jugend- und Kinderliteratur gelesen. Das ist ein schöner Eintritt, aber darüber hinaus gibt es im Studium noch so viel mehr zu entdecken.
Seit 2017 sind Sie Professorin für Nordische Philologie an den Universitäten Basel und Zürich, was ist für Sie spannend an dieser doch aussergewöhnlichen Doppelkonstellation?
Ich habe eine Innenperspektive und gleichzeitig eine Aussenperspektive in zwei Universitätssysteme mit sehr unterschiedlichen Profilen. Und so vervielfacht sich auch die Zahl der direkten Kooperationspartner vor Ort, mit denen man gemeinsame Dinge gestalten kann.
Wie geht es der Schweizer Nordistik heute?
Ich glaube, die Nordistik ist sehr gut aufgestellt mit der Verzahnung dieser beiden Universitäten. Es ist natürlich ein kleines Fach mit kleinen Strukturen und das stellt uns immer wieder vor Herausforderungen. Aber mit den strukturellen Mitteln, die wir haben, wurde, wird und wird hoffentlich dann auch in der Zukunft das Fach gut betrieben.
Und welche Baustellen gibt es noch?
Ich sehe vor allem noch Potenzial im Master den Unterricht intensiver gemeinsam an beiden Standorten zu betreiben. Gerade für kleine Fächer ist es notwendig, dass man Synergien erzeugen kann, auch im Eucor-Raum mit den Partneruniversitäten Freiburg und Strassburg. Durch die Nähe der Standorte haben wir natürlich Möglichkeiten unser Angebot anzureichern und Dinge möglich zu machen, die ansonsten in einem kleinen Fach nicht so ohne weiteres möglich wären.
Und in einem kleineren Fach findet ja meist auch ein viel intensiverer Austausch zwischen Studierenden und Lernenden statt. Welche Stärken hat die Schweizer Nordistik sonst noch?
Die Nordistik hier in Basel ist im engen Kontakt mit der lokalen Gesellschaft. Veranstaltungen in Kooperation Literaturhäusern, Buchhandlungen oder auch Museen sind gut besucht, nicht nur von unseren Studierenden. Das Interesse am Norden ist da: Das merken wir in unseren Sprachkursen und auch in den Vorlesungen, die für die Studierenden der gesamten Fakultät geöffnet sind und in denen viel mehr Leute sitzen, als wir Studierende haben. Und das zeigt auch, wie wichtig dieses Fach letztendlich ist.