«Die Schweizer Wasserkraft muss noch flexibler werden»
Von den unsicheren Entwicklungen in den Energiemärkten ist auch die Schweizer Wasserkraft betroffen. Die Branche werde sich nur behaupten, wenn sie rasch und flexibel auf Veränderungen reagieren kann, sagt der Ökonom Prof. Dr. Hannes Weigt von der Forschungsstelle Nachhaltige Energie- und Wasserversorgung der Universität Basel im Gespräch.
12. Juni 2019
Herr Weigt, wir sind hier im Wasserschloss Europas. Unsere Wasserkraftwerke liefern seit Jahrzehnten erneuerbare, saubere Energie, die relativ sicher und erst noch speicherbar ist. Wo liegt eigentlich das Problem?
Hannes Weigt: In den letzten Jahren ist der Strompreis in den europäischen Märkten deutlich gefallen, was alle Energieproduzenten vor grosse Probleme stellte. Sie mussten feststellen, dass die Einnahmen für Wasserkraft unter die langjährigen Durchschnittskosten gefallen sind. In der Schweiz sind die Energiepreise für Kleinkunden zwar noch reguliert – was sichere Einnahmen verspricht –, doch müssen vor allem die grossen Stromversorger mit den niedrigen Preisen auf dem ausländischen Markt auskommen. Als weitere Herausforderungen kommen etwa der Klimawandel – und wie diesem begegnet wird – sowie die Konkurrenz durch andere erneuerbare Energien dazu. Somit haben die Unsicherheiten in der europäischen Energiefrage grosse Rückwirkungen auf die Schweiz. Der Strommarkt ist heute nicht mehr so sicher planbar wie noch vor 50 Jahren.
Welche Rolle spielt die Wasserkraft in der Schweiz?
Sie ist die wichtigste einheimische Energiequelle des Landes und deckt mehr als die Hälfte des Strombedarfs. Nun ist die Wasserkraft hierzulande strukturell stark mit der Gesellschaft verflochten: Beteiligt sind nicht nur die Investoren und Energieunternehmen, die Renditen erwirtschaften wollen, sondern auch die Kantone und Gemeinden als Eigentümer der grösseren Kraftwerkanlagen. Einzelne Bergkantone sind zudem finanziell stark von den Vergütungen der Wasserkraft abhängig. Diesen sogenannten Wasserzins haben die Kraftwerkseigner zu bezahlen, die meist wiederum Kantone und Gemeinden sind. Der Wasserzins hat sich in den letzten Jahren nicht verändert. Trotz der fallenden Marktpreise wurde der Wasserzins in den letzten Jahren zweimal erhöht.
Welche Vor- und Nachteile hat die Wasserkraft eigentlich gegenüber anderen Energieformen?
Sie hat den Vorteil, auf die jahreszeitliche, täglichen und sogar minütlichen Schwankungen des Stromverbrauchs reagieren zu können. Dies lässt sich aktuell jedoch nur bedingt in zusätzliche Gewinne umwandeln. Demgegenüber ist die Langlebigkeit der Wasserkraft – eigentlich etwas Positives – in einem unsicheren Umfeld durchaus nachteilig. Staudämme, die 80 oder 100 Jahre dastehen, und Turbinen und Generatoren, welche oft ebenfalls mehrere Jahrzehnte durchhalten, sind langfristige und meist grosse Investitionen. In einem schwer einzuschätzenden Markt ist das eine grosse Herausforderung. Dagegen sind Windparks und Solaranlagen kleinteilig und haben mit 20 bis 30 Jahren kürzere Lebenszyklen – ein Pluspunkt in einem unsicheren Umfeld.
Wie lauten Ihre Prognosen und Empfehlungen, mit der gegenwärtigen Unsicherheit umzugehen?
Klar ist, dass die kleine Schweiz mit dem europäischen Markt verflochten bleiben wird. Niemand kann sagen, welches Preisniveau wir in fünf oder zehn Jahren haben werden. Aktuell haben die Preise wieder etwas angezogen, aber ob sie in nächster Zeit wieder sinken werden, ist offen. Die schöne, regulierte Welt von früher kommt jedenfalls nicht wieder. Sollte die EU in Zukunft zum Beispiel eine strenge CO2-Politik verfolgen, würden die Strompreise tendenziell steigen, was für die Wasserkraft positiv wäre. Diese externen Bedingungen können wir nicht steuern. Deshalb müssen nicht nur Stromproduzenten und Anleger, sondern auch die Behörden und die Politik beweglicher werden.
Was könnte das konkret heissen?
Alle Beteiligten sollten auf die verschiedenen Szenarien vorbereitet sein. So wird aktuell diskutiert, den Wasserzins je nach dem Strompreis flexibel zu gestalten. Auch bei den Investitionen könnte man beweglicher planen, indem man erste kleinere Investitionen tätigt, dabei aber das grosse Ganze im Blick behält. Möglicherweise könnte es bei all diesen schwankenden Entwicklungen zielführend sein, über eine noch zu gründende Institution eine Art Puffermechanismus einzuführen, der die Unsicherheiten der Energiepreise auffängt. Dies werden wir in den kommenden Jahren weiter analysieren. Alles in allem sollten wir zu einem Konsens darüber kommen, wer wie viel zur angestrebten Flexibilität beisteuern kann – mit dem Ziel, die Produktion von Wasserkraft zu erhalten und sogar zu steigern.
Prof. Dr. Hannes Weigt leitet die Forschungsstelle Nachhaltige Energie- und Wasserversorgung Fonew der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel und war an Teilprojekten des Nationalen Forschungsprogramms Energiewende (NFP 70) beteiligt. Veröffentlicht sind dazu ein Schlussbericht und eine Zusammenfassung "Schweizer Wasserkraft hat eine Zukunft, wenn ...".