Von Verstorbenen für die Lebenden lernen
Covid-19 betrifft zwar vor allem die Lunge, aber nicht nur. Zu Beginn der Pandemie gehörten Basler Forschende zu den Ersten, die Autopsien an verstorbenen Covid-19-Patienten wagten und damit wichtige Beiträge zum Verständnis der neuen Infektionskrankheit lieferten. Prof. Dr. Alexandar Tzankov von der Universität Basel leitet ein Forschungsprojekt, das die Auswirkungen des Virus auf Gewebe beleuchtet.
18. März 2021
Als eine rätselhafte Lungenkrankheit Ende 2019 begann, um sich zu greifen, trat eine schon totgesagte Disziplin der medizinischen Wissenschaft plötzlich wieder ins Rampenlicht: die Autopsie. Sie ist Teil einer Disziplin, nämlich der Pathologie, die sich mit krankhaften Körper- und Gewebeveränderungen und dem Verständnis der Erkrankungsentstehung beschäftigt. Die Faszination dafür entwickelte Alexandar Tzankov schon während des Studiums, als er «Robbins Pathologic Basis of Disease», ein zentrales Lehrwerk, las. Rückblickend sagt er über seine Entscheidung für dieses Fachgebiet: «Ich wollte, dass Gewebe zu mir sprechen.»
Das Team um Tzankov und ihre Kolleginnen und Kollegen in Baselland und Hamburg gehörten zu den Ersten, die in grösserem Massstab Obduktionen an verstorbenen Covid-19-Patienten durchführten. «Heute finden weltweit viele solcher Autopsien statt, das Gebiet hat neuen Wind bekommen», so der Pathologe. Er leitet ein Projekt, das die Auswirkungen des Sars-CoV-2-Virus auf die verschiedenen Gewebe des Körpers untersucht. Ergebnisse ihrer Forschung, welche das Botnar Research Centre for Child Health (BRCCH) mit 1,3 Millionen Franken unterstützt, haben die beteiligten Forschenden bereits in einer Reihe von Fachpublikationen veröffentlicht.
Fein verästelte Blutgefässe im Fokus
Schon die ersten Analysen der Lungengewebe von verstorbenen Covid-19-Patienten förderten Überraschendes zutage. «Wir haben zwar einen diffusen Schaden der Lungenbläschen gesehen, aber gar nicht so stark wie bei anderen tödlichen viralen Atemwegserkrankungen», so Tzankov, der das Gespräch per Videostream zwischendurch kurz unterbrechen muss, um sich um eine Gewebeprobe zu kümmern. Gewebe wartet nicht.
Das grössere Problem bei Covid-19, berichteten Tzankov und weitere Pathologen letzten Sommer im «New England Journal of Medicine», sind Mikrogerinnsel in den fein verästelten Blutgefässen der Lungenbläschen. Verglichen mit Influenzaviren löst das neue Coronavirus zehnmal mehr solcher Mikrothrombosen aus.
Zudem scheint der Organismus nicht in der Lage, die verstopften und damit funktionslosen Blutgefässe zu ersetzen. «Zwar wird eine molekulare Kaskade angestossen, um neue Gefässe zu bilden, aber sie versagt und führt nicht zu funktionierenden Gefässen», fasst Tzankov zusammen. Die Folge ist ein mangelhafter Gasaustausch an der Lungenmembran, weil insbesondere Sauerstoff schlechter transportiert wird.
Da der Transport von CO2 weniger betroffen ist, zeigen die Patientinnen und Patienten ein Phänomen namens «happy hypoxia» (übersetzt «glücklicher Sauerstoffmangel»). Der Überschuss an CO2 im Blut löst normalerweise Erstickungsgefühle aus. Da das CO2 aber relativ gut abtransportiert, aber weniger Sauerstoff zugeführt wird, scheinen die Betroffenen das Ersticken nicht zu bemerken.
Kein direkter Schaden am Gehirn
Das Problem geht dabei weit über die Lunge hinaus: Das Virus lässt sich in geringer Menge praktisch in allen Geweben des Körpers nachweisen und kann dort die Mikrozirkulation des Bluts ebenfalls stören. Beispielsweise nimmt Tzankov an, dass Wortfindungsstörungen, Gleichgewichtsstörungen oder die chronische Erschöpfung – zusammengefasst als Post-Covid-19-Syndrom, das noch lange nach der akuten Infektion anhält – ebenfalls vor allem auf Probleme der Mikrozirkulation zurückzuführen sind, und nicht auf eine Schädigung der Nervenzellen durch das Virus, wie zuerst angenommen wurde.
Die Einsicht, dass das Virus den grössten Schaden in den Gefässen anrichtet, gehört zu den grossen Verdiensten der Pathologie während der Pandemie. Sie wies darauf hin, dass der Zustand des Gefässsystems ausschlaggebend dafür sein kann, wie tolerant der menschliche Körper gegenüber SARS-CoV-2 ist und wie eine Infektion verläuft. Und sie zeigte vielversprechende Ansätze wie den Einsatz von Gerinnungshemmern auf, um zumindest bei einigen Patientinnen und Patienten fatale Folgen der Infektion abzuwenden.
«Die Pathologie konnte in dieser globalen Ausnahmesituation zeigen, dass man von Verstorbenen etwas lernen kann, das direkt für die Lebenden anwendbar ist», so Tzankov. Er und sein Team verfolgen weiter die Spuren, die das Virus in den unterschiedlichen Geweben hinterlässt. Dank der Finanzierung durch das BRCCH stehen ihnen dafür neue Ressourcen und Kollaborationen mit einem Netzwerk nationaler und internationaler Forschungsgruppen zur Verfügung.
Weitere Auskünfte
Prof. Dr. Alexandar Tzankov, Universität Basel, Universitätsspital Basel, Tel. +41 61 265 3229, E-Mail: alexandar.tzankov@usb.ch