Zweckbeziehungen im Bundeshaus: Wie Interessenbindungen die Schweizer Politik prägen
Verwaltungsrat, Stiftungsrätin, Vorstandsmitglied: Angehörige des eidgenössischen Parlaments haben neben ihrem politischen Amt und dem Beruf oft noch weitere Verpflichtungen. Forschende aus der Politikwissenschaft an der Universität Basel haben untersucht, wie sich diese Allianzen auf das politische Geschehen auswirken.
15. Dezember 2022 | Noëmi Kern
Die Mandate von Politikerinnen und Politikern geben immer wieder zu reden. National- und Ständeräte können mittels parlamentarischer Handlungsinstrumente wie Interpellationen, Vorstössen und parlamentarischen Initiativen die politische Agenda mitprägen und Interessengruppen eine Stimme verleihen, mit denen sie verbandelt sind. Entsprechend attraktiv ist es für Unternehmen und Verbände, Vorstands- und Verwaltungsratsposten sowie Sitze in Aufsichts- und Beratungsgremien an Mitglieder der vereinigten Bundesversammlung zu vergeben.
Wie prägen derartige Verflechtungen die Schweizer Politik? Stefanie Bailer, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Basel, und ihr ehemaliger Doktorand Oliver Huwyler und früherer Postdoc Tomas Turner-Zwinkels haben die Interessenbindungen von jenen 524 Parlamentsmitgliedern untersucht, die zwischen 2000 und 2015 im Amt waren und von denen solche Verbindungen bekannt sind. Das Projekt wurde vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt. Ihre Erkenntnisse haben die Forschenden im Fachmagazin Political Research Quarterly veröffentlicht.
Von den Allianzen profitieren beide Seiten
Die Auswertung zeigt: Kann eine Interessengruppe Ratsmitglieder als Lobbyistinnen und Lobbyisten für sich gewinnen, kann sie mit verstärkter parlamentarischer Aktivität in diesem Bereich rechnen. Im Gegenzug versorgt sie die ihr zugewandten Personen mit Informationen und Expertise zu bestimmten Dossiers. Ob Landwirtschaft, Medizin oder Umwelt, zwischen den insgesamt 15 untersuchten Themenfeldern gibt es keine grossen Unterschiede. Auch ob eine Organisation privat oder öffentlich ist, spielt keine grosse Rolle.
Ein bestimmtes Thema im Parlament einzubringen, ist der erste Schritt. Wie es danach weitergeht, ist offen. Über den konkreten Profit lässt sich jedoch wenig sagen, ob etwa eine Branche von mehr Arbeitsplätzen profitiert. «Die Lobbyorganisation hat natürlich ein Interesse, ihren Einfluss als grösser darzustellen als die Politikerinnen und Politiker», so Stefanie Bailer.
Mit Mandatsende ist es jedoch auch vorbei mit den Gefälligkeiten und die Politikerinnen und Politiker wenden sich anderen Themen zu. «Ein Mandat hat meist keine transformative Wirkung. Es ist vielmehr eine Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung», sagt Co-Autor Oliver Huwyler. Wenn sich die Interessen nicht mehr decken und der gegenseitige Nutzen wegfällt, kann jede Seite die Beziehung auflösen.
Wirklich überraschend seien diese Resultate nicht, räumt Bailer ein. «Wir haben immer angenommen, dass Parlamentsmitglieder ihren Interessenbindungen entsprechend politisieren. Dieses Wissen war aber anekdotisch, nun können wir es belegen.»
Transparenz kommt bei der Wählerschaft an
Ihre Untersuchung zeige die Kausalitäten im politischen Geschehen schon recht gut auf, sagen die Forschenden. «Es ist aber alles noch recht grob und es gibt viel Informelles, das wir nicht im Detail analysieren können», so Bailer. Viele Daten seien schlicht nicht vorhanden, zum Beispiel Informationen über Treffen zwischen Parlamentarierinnen und Lobbyvertretern.
Die Forderung nach Transparenz gibt hierzulande immer zu reden. Mitglieder der vereinigten Bundesversammlung sind nicht verpflichtet, die Einkünfte aus ihren Mandaten anzugeben. Bailer und Huwyler sind für maximale Transparenz und damit für eine obligatorische Offenlegung aller Nebenverdienste aus Interessenbindungen. Nur so habe die Stimmbevölkerung eine Chance zu wissen, wer wofür Zeit aufwendet. Das sei aus demokratietheoretischer Sicht erstrebenswert.
«Die Öffentlichkeit ist sensibler als früher. Man kann es sich kaum noch leisten, wichtige Mandate zu verschweigen», sagt Bailer. Mit der Deklaration der eigenen Allianzen können Politikerinnen und Politiker also Sympathiepunkte sammeln. Nicht nur weil Wählerinnen und Wähler Transparenz schätzen, wie ein Umfrageexperiment in verschiedenen Ländern zeigt. Auch der Inhalt der Mandate ist ein Signal an die Wählerschaft, das deren Gunst beeinflussen kann, zum Beispiel das Engagement im Vorstand eines Hilfswerks.
Unterschiede zwischen links und rechts
Und auch wenn eine ideologische Gewichtung nicht Teil der Untersuchung war, lassen sich doch einige Unterschiede zwischen den politischen Lagern feststellen: «Die ideologische Nähe zwischen privatwirtschaftlichen Unternehmen und bürgerlichen Parteien begünstigt Allianzen auf dieser Ebene», weiss Bailer. Auch bei der freiwilligen Deklaration gebe es Unterschiede. «Linke Parlamentsangehörige legen ihre Einkünfte aus Mandaten bei Interessenverbänden eher offen als rechte. Erstere verdienen aber meist nicht so viel.»
Originalpublikation
Oliver Huwyler, Tomas Turner-Zwinkels und Stefanie Bailer
No Representation Without Compensation: The Effect of Interest Groups on Legislators’ Policy Area Focus
Political Research Quarterly (2022), doi: 10.1177/10659129221137035