Bewegung und Verliebtsein tun dem Schlaf gut
Text: Martin Hicklin
Was tun, wenn die Nachtruhe stark gestört ist, und was hilft dem Schlaf? Forschungsgruppen an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel befassen sich seit Längerem mit solchen Fragen. Bewegung tut gut – aber auch die Tatsache, verliebt zu sein.
Am Abend vor dem Schlafen noch heftig Sport zu treiben, scheint ein schlechter Rat zu sein. Denn der vermeintlich gesunde Menschenverstand und die Volksmeinung sind sich darin einig, dass das den Schlafhaushalt durcheinanderbringen muss. Erst recht, wenn man jung ist und noch allerlei anderen Aufregungen ausgesetzt ist. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wer abends seine Kräfte trainiert und sich bewusst anstrengt, wird mit Schlaf von besserer Qualität belohnt. Das sagen nicht nur die rund 20jährigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Basler Studie – es lässt sich anhand der Schlaf-Elektroenzephalogramme (Schlaf-EEGs) auch objektiv bestätigen. Eine gute Nachricht für alle, die tagsüber zu wenig Zeit haben, Sport zu treiben, und daran zweifeln, ob ihnen abendliches Training guttut.
Wachen und Träumen
Die Studie ist vielleicht nicht die einzige, die in diese Richtung weist, aber sie sagt etwas über die Breite der Schlafforschung aus, die man in Basel am Zentrum für Affektive, Stress- und Schlafstörungen (ZASS) betreibt. Es befindet sich in einem dreistöckigen, stattlichen Gebäude auf dem Gelände der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel – wo man gegen Burnout, Depression und ähnliche «Störungen» behandelt wird. Wo man gerade deshalb auch besser zu verstehen versucht, wie beim Schlafen alles zusammenhängt. Das Zentrum hält nicht nur eine Schlafsprechstunde für Betroffene offen, es verfügt auch über ein voll ausgerüstetes Schlaflabor, in dem sich Wachen und Träumen in allen Phasen in den gezackten Kurven der Schlaf-EEGs nachverfolgen lässt.
Prof. Edith Holsboer-Trachsler, die Chefärztin des Zentrums, erzählt sichtlich gern vom lebensnahen Befund von Sport und Einschlafen, den man 2014 mit Kollegen des Departements für Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel publizierte. Sie kann damit zwei Dinge belegen: wie breit der Zugang zum Schlaf als wichtigem Bestandteil menschlicher Befindlichkeit angelegt ist und wie vorurteilsfrei man die Forschungsfragen zu stellen versucht. Man denke sich ein Kontinuum von gesund bis krank und jung bis alt, wo gesunde Jugendliche ebenso untersucht werden wie von Stress, Störungen und chronischen Leiden geplagte Erwachsene und ältere Klienten. Heute hilft, dass es mit neuen technischen Möglichkeiten mehr und mehr gelingt, Befunde objektiv zu bestätigen.
Teenie-Studie mit Medienecho
«Wir engagieren uns neben der ärztlichen Tätigkeit in drei Forschungsgruppen für den Schlaf», sagt Holsboer. Die erste, geleitet vom Psychologen PD Dr. Serge Brand, befasst sich am «gesunden Ende» mit dem Zusammenhang von Schlaf, Bewegung und Befindlichkeit. So wurde etwa belegt, dass auch Sport am Morgen Jugendlichen besseren Schlaf bringt, weil er Stress abbauen hilft.
Brand war Erstautor jener bemerkenswerten Studie über den Schlaf von Verliebten gewesen. Ihr Resultat: Verliebte leiden, wenn auch mehr oder weniger lustvoll, an einem Zustand der «Hypomanie», mit höherem Antrieb und etwas asozialem und leicht unrealistischem Verhalten, was als «affektive Störung» qualifiziert wird. Verliebte Teenager, so zeigte sich, schlafen in diesem Zustand eine Stunde weniger, dafür tiefer. «Bei solch positiven Fragestellungen haben wir keine Mühe, genügend Teilnehmende zu finden», sagt Holsboer-Trachsler fröhlich: «Das Medienecho reichte bis nach Australien.» Absicht war das nicht, aber auch nicht unwillkommen.
Mit einer zweiten Gruppe untersucht Dr. Johannes Beck, Psychiater und als Oberarzt Leiter der Depressionsabteilung samt Schlaflabor, die Zusammenhänge zwischen Stress, Schlaf und «Neuroplastizität», die man als die mitbedingte Veränderung der Organisation und Empfindlichkeit des Gehirns definieren könnte. Wobei vor allem interessiert, was man als Zeichen der Veränderung zum Guten interpretieren könnte. Becks Gruppe sucht bei an Schlaflosigkeit leidenden Patienten nach wiederkehrenden Mustern im Schlaf-EEG und in biochemischen Markern. Diese, so zeigt sich, verändern sich wahrscheinlich bereits, bevor man klinisch äussere Veränderungen bemerkt. Sie könnten frühe Hinweise dafür geben, wie eine Therapie besser eingestellt werden könnte.
Stress stört Schlaf bei Depression
«Wir vermuten, dass bei Depression Stress und Schlaf eng zusammenhängen», erklärt Holsboer-Trachsler. «Finden wir einen verlässlichen Indikator – und da haben wir gute Kandidaten –, können wir auch gezielter behandeln und den Erfolg objektiv messen.» Behandeln kann man auch, indem man direkt über den Schlaf eingreift: «Meistens geht es ja den Patienten besser, wenn man ihre Schlafstörungen positiv beeinflussen kann.»
Alles, was therapeutischen Erfolg verspricht, verdient, erforscht zu werden. Manchmal landet man dabei auch in Sackgassen. Holsboer-Trachsler erinnert sich lebhaft an frühere spektakuläre Erfolge, die ein Schlafentzug bei schwer Depressiven oft bewirkt hatte. Weckte man sie nachts um 1.30 Uhr und hinderte sie am Wiedereinschlafen in der zweiten Nachthälfte, ging es ihnen am anbrechenden Tag meist schlagartig besser. «Da geschieht im Gehirn unglaublich viel mit Veränderung der Botenstoffe, der neuronalen Netzwerke und der Neuroplastizität, wie wir heute wissen», sagt die Psychiaterin. «Nur war der Effekt nach der nächsten Nacht mit Schlaf leider wieder weg.» Schlafentzug ist darum vorerst aus dem Forschungsarsenal verschwunden. Die begründete Überzeugung aber, dass über den Schlaf die Ursachen von Depressionen angegriffen und behandelt werden können, ist geblieben.
Um die Wirkung solcher Eingriffe messen zu können, vielleicht lange bevor sich etwas im äusserlichen Krankheitsbild ändert, wird am ZASS intensiv mit Biomarkern chemischer und elektrophysiologischer Art geforscht. Solche Themen hat sich die dritte Gruppe, geleitet von Dr. Thorsten Mikoteit, Psychiater und Leiter der ZASS-Ambulanz, auf die Fahne geschrieben, und er kann da auf Allianzen mit dem Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München zählen.
«Vielfältigeres Bild»
Einer der Stoffe, die Auskunft über Verläufe im Gehirn zum Bessern geben kann, ist der sogenannte BDN-Faktor (Brain Derived Neurotrophic Factor). Er kann bei der körperlichen Verfassung, die man als Burnout bezeichnet, aber auch bei Schlafstörungen Auskunft darüber geben, was genau im Gehirn passiert. Die Hoffnung, dass man solche und andere Indizien auch zur frühen Prävention und Behandlung nutzen kann, ist gross.
«Wir haben heute ein weit vielfältigeres Bild vom Geschehen als früher, und es sind auch einige zusätzliche Türen aufgegangen, über die man Zugänge zum Verständnis der Vorgänge im Gehirn finden kann», sagt Holsboer-Trachsler: «Unser Respekt für den Schlaf ist gross.» Glücklicherweise habe die Forschung in ihrer Klinik einen viel höheren Stellenwert als früher. Das zahlt sich auch in den Ergebnissen aus: in spezifischeren Behandlungsstrategien, in populären Ratschlägen für den Alltag – oder auch einmal in Schlagzeilen, die um die Welt gehen.
Weitere Artikel in der aktuellen Ausgabe von UNI NOVA.