Was ist gute Entwicklungspolitik, Andrea Franc?
Text: Andrea Franc
Hilft es dem Süden wirtschaftlich, wenn ihm der Norden den vollen Marktzugang gewährt? Und wie kommen Entwicklungsländer zu funktionierenden Institutionen? Zwei Beiträge dazu, wie Entwicklungshilfe besser gelingen könnte.
Fair Trade» heisst ein neueres Buch des Nobelpreisträgers für Ökonomie, Joseph Stiglitz. Darin erwähnt Stiglitz aber mit keinem Wort das Fair-Trade-Gütesiegel, das in der Schweiz auf so mancher Kaffeepackung zu finden ist. Für Ökonomen bedeutet Fair Trade, dass der Norden dem Süden grundsätzlich Marktzugang gewährt und nicht nur lediglich tropische Rohstoffe importiert, die im Norden nicht gedeihen. Stiglitz’ Kollege Paul Collier hält das Fair-Trade-Gütesiegel sogar für schädlich. Es sorge dafür, dass der Süden in der Produktion tropischer Rohstoffe verharre, anstatt seine Volkswirtschaft zu diversifizieren. Entwicklungsorganisationen sollten sich daher nicht für das Gütesiegel, sondern für die Öffnung der wirtschaftlichen «Festung Europa» einsetzen.
Weshalb engagieren sich heutige Entwicklungsorganisationen für Kleinbauern und Kaffeebohnen anstatt für Marktzugang und Industrialisierung? Aus wirtschaftshistorischer Sicht ist interessant, dass diese Kluft zwischen akademischer Ökonomie und der Drittweltbewegung erst in den 1980-erJahren aufging. Erst als professionelle Nichtregierungsorganisationen entstanden, passten diese ihr Fair-Trade-Konzept dem gesellschaftlichen Kontext an.
Um zu bestehen oder sogar zu wachsen, mussten die Entwicklungsorganisationen den Zufluss von Spendengeldern sichern und informelle Allianzen eingehen, etwa mit der Umweltbewegung oder den Gewerkschaften. Gerade die Bewegung für den biologischen Landbau, die in der Schweiz sehr stark war, lancierte bereits 1981 mit der Bio-Knospe ein eigenes Gütesiegel. Heute sind Umweltschutz und Wachstumskritik ein fester Bestandteil des Fair-Trade-Gütesiegels, das mehrere Entwicklungsorganisationen 1992 in der Schweiz einführten.
Der Kleinbauer im In- und Ausland wurde zum Sinnbild des neuen Bio- und Fair-Trade-Konzepts. Unter den Tisch fiel dabei allerdings die politische Forderung, dass die Schweiz ihren Markt für sämtliche Produkte des Südens öffnen und auch dem Süden Industrialisierung zugestehen sollte. Wie verschiedene politökonomische Studien aufgezeigt haben, dienten Umweltschutz und Wachstumskritik in der internationalen Handelspolitik leider oft als Deckmantel, um die Privilegien der «Festung Europa» zu sichern. Die Nichtregierungsorganisationen spielten dabei die Rolle der «nützlichen Idioten».
Das erste Fair-Trade-Produkt der Schweiz hatte 1973 noch nichts mit Kleinbauern zu tun, im Gegenteil: Der industriell hergestellte Ujamaa-Pulverkaffee aus Tansania galt als fair, weil er eben kein Rohstoff war und aus einer modernen Fabrik in Afrika stammte. Freiwillige, die eine ökonomische Schulung durchlaufen hatten, verkauften den Pulverkaffee an Ständen in der ganzen Schweiz und verteilten Broschüren.
Ziel war nicht der Verkauf, sondern die «Bewusstseinsarbeit» mit der Bevölkerung. Die Schweiz sollte sich darauf einstellen, «in Zukunft auf bestimmte Privilegien verzichten zu müssen». In Zukunft sollte der Ujamaa-Kaffee den Nescafé ersetzen, Arbeitsplätze und Firmensitze sollten nach Afrika abwandern.
Um «die ökonomischen Strukturen unseres Landes im Hinblick auf unsere Mitverantwortung für die Welt von morgen zu verändern», sollte die Schweiz Importzölle und andere Handelshemmnisse gegenüber Entwicklungsländern abschaffen und ihren Markt nicht nur für tropische Rohstoffe, sondern auch für Industrieprodukte öffnen. Ebenso sollten Entwicklungsländer eine verarbeitende Industrie aufbauen und daher ihren Markt im Gegensatz zum Westen mit Importzöllen schützen dürfen. Der Ujamaa-Pulverkaffee war allerdings das erste und letzte industriell hergestellte Fair-Trade-Produkt aus Afrika.
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