Gegen den Muskelschwund.
Text: Martin Hicklin
Krafttraining wirkt auch bei Älteren dem Abbau von Muskelmasse entgegen. Mit der sogenannten Sarkopenie nimmt ein Forschungsprojekt am Biozentrum einen «Fluch des Alters» ins Visier.
Sie kann bereits ab dem 50. Lebensjahr beginnen, und wer einmal das 70. erreicht hat, sollte ihr besser entgegenhalten. Nach und nach nimmt sie den Betroffenen Kraft und Beweglichkeit, und die Gründe dafür sind bei weitem nicht geklärt. Das schleichend auftretende Übel heisst Sarkopenie – Muskelschwund, von griechisch sarx, Fleisch, und penía, Mangel – und ist als «Fluch des Alters» berüchtigt. Die Muskelmasse verabschiedet sich, der Ersatz bleibt aus. Der Händedruck wird schwächer, schnelles Gehen unmöglich. Stürze mit oft verheerenden Folgen werden häufiger. Könnte man da wirksam Gegensteuer geben, wäre das in mehrfachem Sinn Gold wert.
Gleichgewicht gestört
Warum es mit dem Gleichgewicht zwischen dem Muskelauf- und -abbau im Alter weniger klappt und was sich dabei auf der molekularen Ebene genau abspielt, ist weitgehend unbekannt, sagt Prof. Dr. Markus Rüegg, Neurobiologe am Biozentrum der Universität Basel. Diese Lücke ist umso schmerzlicher, als die Zahl der gefährdeten älteren Menschen in der Bevölkerung zunimmt. Mit entsprechend schwerwiegenden Konsequenzen.
Am Biozentrum hat man darum mit gutem Grund die vorhandenen Kräfte gebündelt, um mit einem auf Sarkopenie fokussierten Projekt genauer hinzuschauen, was da was fehlsteuert oder auf Signale nicht mehr reagiert. Rüegg hat sich mit Prof. Dr. Christoph Handschin und der Systembiologin und Bioinformatikerin Prof. Dr. Mihaela Zavolan zusammengetan. Das Forschen in mehreren Gruppen zum gleichen Thema wird – bei erwiesener Qualität – vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des «Sinergia»-Programms gefördert. Auch Altersforschende von Novartis arbeiten in diesem Projekt mit.
Die Synergien sind da: Rüegg untersucht mit seiner Gruppe, was zwischen Nerven und Muskeln als Zielorgan geschieht. Ebenso sucht er therapeutische Zugänge zu seltenen Muskelkrankheiten wie Dystrophie, bei denen die Signalwege sowie Muskelauf- und -abbau gestört sind. Daraus lässt sich auch etwas über den Muskelschwund im Alter lernen. Handschin erforscht mit seiner Gruppe, was beim Trainieren mit gesunden Muskeln geschieht, ein Feld, das erstaunlicherweise noch viele weisse Flecken hat. Er hat sich zudem mit einem Eiweiss namens PGC-1α beschäftigt, das über den Bau der Kraftwerke in den Zellen – der Mitochondrien – Muskelarbeit und Verbindungen zu den Nerven fördert. Zavolan versteht es schliesslich, mit den vielen Daten umzugehen, die über den Zellbetrieb während der Experimente gesammelt werden.
Die Schaltstelle in der Zelle
Noch ein weiteres Ass hat man im Biozentrum im Ärmel. Hier kennt man sich sehr gut aus mit einer zentralen Schaltstelle in der Zelle, die auch im Betrieb und Unterhalt der Muskeln eine wichtige Rolle spielt. Ihr Name ist mTORC1, was ausgeschrieben Mammalian Target of Rapamycin Complex 1 heisst. Sie ist – noch im letzten Jahrhundert – vom ebenfalls am Biozentrum forschenden, vielfach ausgezeichneten Biochemiker Prof. Dr. Michael N. Hall entdeckt worden. «Ich habe mit ihm bereits früher zusammengearbeitet», erzählt Rüegg.
Auch jetzt steht mTORC1 mit im Zentrum. Dieser Schalter registriert, wie viel Nahrung und vor allem Eiweissbausteine (Aminosäuren), aber auch Energie und andere für den Bau von Eiweissen nötige Faktoren zur Verfügung stehen. Fehlt da etwas, verhindert der mTOR-Komplex die Herstellung von Eiweissen, darunter auch jener für die Muskeln. «Wir wissen zumindest, dass mTORC1 den Muskelbau behindern und das Auftreten der Sarkopenie beschleunigen kann», so Rüegg. Rapamycin oder ähnlich gebaute «Rapalogs» hemmen mTORC1. Ist der Schalter aber aufgedreht, weil alles vorhanden ist, werden Eiweisse – in aller Vielfalt notwendig für das Leben der Zelle – produziert. So bestimmt mTORC1 Zellgrösse und Zellwachstum.
Fasten verlängert Leben
Umgekehrt wird ein Vorgang beschleunigt, der Autophagie (Selbst-Auffressen) genannt wird und dafür sorgt, dass missratene, falsch gefaltete Eiweisse zerlegt werden und ihre brauchbaren Bestandteile – wie auf einer Art Bauteilbörse – wieder zur Verfügung stehen. Wer fastet und wer joggt, schaltet auf diesen Prozess um. Das könnte der Grund sein, warum manche davon erzählen, sich nach dem Fasten besser zu fühlen. Sie sind ja auch besser aufgeräumt. Eine Maus beginnt bereits nach 24 Hungerstunden ihre Muskeln ab- und den Körper umzubauen. Fasten – auch als Kalorienrestriktion bezeichnet – verlängert Mäusen (und Affen) das Leben.
Autophagie ist ein wichtiger ausgleichender Prozess, der aber auch entgleisen kann. Gut möglich, dass da mit zunehmendem Alter einiges nicht mehr so richtig funktioniert und das eine oder andere liegen bleibt und fortan im Wege steht. Das von vielen Faktoren beeinflusste Geschehen besser zu verstehen, hat sich das Basler «Sinergia»-Projekt vorgenommen. Eine Reihe von Mausmodellen – darunter auch von Novartis – stehen jetzt zur Verfügung oder sind in Vorbereitung, damit sich erkunden lässt, welcher Faktor welche Rolle spielt.
Beitrag an ein gutes Leben
Da sind auch Überraschungen möglich. Resultate, die der Erwartung widersprechen, gibt es bereits. So bringt dauerndes Aktivieren von mTORC1 einer Maus nicht einfach grosse Muskeln, sondern kann sie das Leben kosten. Es könnte auch sein, dass im Alter mTORC1 ständig etwas höher geschaltet ist und dass es sinnvoll sein könnte, dämpfend einzuwirken. Das wird sich in einer nächsten Forschungsphase zeigen, in der erste verallgemeinerbare Resultate erwartet werden. «Wahrscheinlich wäre eine Balance zwischen Stimulieren und Bremsen die beste Lösung», meint Rüegg.
Sicher und belegt ist, dass Krafttraining auch bei Älteren etwas bringt und den Eiweissaufbau auslöst. Die Signalwege, die da schon in jungen Jahren eingeschaltet wurden, sind auch im Alter noch vorhanden. Nur sind sie weniger effizient. «Wir werten jetzt molekulare Daten aus und werden dann auf der Basis der Ergebnisse mit neuen Modellen weiterfahren», stellt Rüegg in Aussicht. Das Gebiet ist jedenfalls ziemlich heiss, und auch dank moderner Technikfortschritte ist die Hoffnung gross, einen substanziellen Beitrag an eine gute Lebensführung bis ins hohe Alter leisten zu können.
Markus Rüegg forscht als Professor für Neurobiologie am Biozentrum der Universität Basel unter anderem über neuromuskuläre Krankheiten und generellen Muskelschwund.
Weitere Artikel in der aktuellen Ausgabe von UNI NOVA.