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Augenforschung: Sehkraft erneuern (02/2019)

Atemluft verrät Krankheiten.

Text: Martin Hicklin

Die ausgeatmete Luft jedes Menschen zeigt sein persönliches Stoffwechselprofil. Am Universitätskinderspital beider Basel wird untersucht, wie sich damit bestimmte Krankheiten erkennen und überwachen lassen.

Kind, das in die Apparatur bläst.
Spezielle Apparatur: Der ausgeatmete Luftstoss wird so aufbereitet, dass ein Massenspektrometer minime Mengen von Substanzen unterscheiden kann. (Bild: UKBB)

Unglaublich, aber wahr: In einem Stoss Luft, den wir ausatmen, steckt eine grosse Menge an Informationen, die für die Diagnose und Behandlung von Krankheiten nutzbar wären. Sie haben die Gestalt winziger Spuren von flüchtigen Stoffen, die nun gemessen werden können. Der chemische «Atemabdruck» könnte Auskünfte geben, die sich – wenn überhaupt – sonst nur etwa aus Blut und Urin ablesen liessen. Zum Beispiel, wie unser Körper Stoffe umwandelt, wie unsere Lunge arbeitet und was uns in Sachen Stoffwechsel von anderen unterscheidet. Mit typischen Spuren in der Atemluft verraten sich auch mikrobielle Mitbewohner. Damit können in Zukunft Krankheiten wie Lungenentzündungen angezeigt werden.

Anhand des Atembilds liessen sich so Krankheiten theoretisch nichtinvasiv überwachen. Leicht wie Luft ist dabei das Vorgehen: Statt sich ständig stechen zu lassen und Blut abgeben zu müssen, haben die Patientinnen und Patienten nur in eine Röhre zu blasen – besonders im Umgang mit Kindern eine Wohltat. Im Gegensatz zur Diagnostik mit Blut oder Urin findet bei der Atemanalyse keine Präparation der Proben statt. Die gesuchte Information steht damit sofort zur Verfügung und macht die Methode für die Klinik besonders attraktiv.

Informationen aus der Luft

Doch noch ist es nicht ganz so weit. Der Schatz an Informationen aus der Atemluft will erst noch richtig gehoben und verlässlich gedeutet werden. Einer, der hier an vorderster Front Neuland erobert, ist Prof. Dr. Pablo Sinues, Botnar-Forschungsprofessor für Pädiatrische Umweltmedizin und Mitglied des Departements für Biomedical Engineering der Universität Basel. Als einer der Pioniere auf dem Feld der massenspektrometrischen Analyse flüchtiger («volatiler») organischer Stoffe in der Atemluft hat sich der 42-jährige Spanier früh an der Entwicklung der hochsensiblen Apparaturen beteiligt: «Wir versuchen, neue Werkzeuge und Methoden für noch ungelöste klinische Probleme und die Diagnose und Überwachung von Krankheiten zu entwickeln.»

Sinues, der Chemie und Maschinenbau studierte, ist überzeugt, dass das noch erstaunlich wenig bearbeitete Feld eine grosse Zukunft hat. Sein Vorteil in Basel: Am Universitätskinderspital beider Basel kann er mit seinem Team direkt mit jungen Patienten forschen und zugleich engen Kontakt mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten pflegen.

Empfindlich wie eine Hundenase

Eine Atemanalyse ist ziemlich anspruchsvoll. Es gilt, Werkzeuge mit ausreichender Sensibilität einzusetzen und der Maschine die zu analysierenden Proben in der richtigen Form in Echtzeit anzubieten. Jetzt steht auch in Basel eine Apparatekombination zur Verfügung, die empfindlich genug ist, um die relevanten Moleküle organischer Verbindungen aufzuspüren und die in die Klinik eingeführt werden kann.

Bereits als Gastdoktorand in Yale war Sinues an der Entwicklung solcher sensitiven Apparaturen beteiligt. Dort arbeitete er im ehemaligen Labor von Chemienobelpreisträger John B. Fenn, der 2002 für seine Verdienste auf dem Gebiet der Massenspektrometrie ausgezeichnet worden war. Vor acht Jahren wechselte Sinues an die ETH Zürich, um diese Technologie weiterzuentwickeln und sie in klinischen Pilotstudien zu testen. Nach seiner Habilitation 2015 übernahm er, Mitinhaber von zwei einschlägigen Patenten, vor zwei Jahren schliesslich die Botnar-Professur in Basel.

Herzstück der nun im Universitätskinderspital beider Basel installierten Anlage ist eine spezielle Apparatur. Diese bereitet den ausgeatmeten Luftstoss synchron so auf, dass das nachgeschaltete, im Handel erhältliche hochempfindliche Massenspektrometer die in Parts per Trillion gemessenen minimen Mengen von Substanzen nach ihrem Molekulargewicht unterscheiden kann. Nur eine Hundenase kann da mithalten.

«Atemabdruck» als Kurve

Als «Atemabdruck» erscheinen auf dem Bildschirm Zacken oder Peaks in einer fortlaufenden Kurve, die jeweils auf das Vorhandensein von Stoffen bestimmter Masse hinweisen. Das können Tausende und damit ein Berg von Daten werden. Damit das überhaupt funktioniert, müssen die Moleküle im Atemstoss elektrisch geladen oder ionisiert werden. Dies wird mithilfe eines Elektrosprays erreicht. «Sekundäre Elektrospray-Ionisierung mit hochauflösender Massenspektrometrie » oder SESI-HRMS heisst denn auch die Technik. Sinues war an der Entwicklung dieses für die Untersuchung zentralen Geräts mitbeteiligt. Es wird inzwischen als «SUPER-SESI» von einer spanischen Firma produziert, die von einem früheren Postdoktoranden von Sinues an der ETH Zürich gegründet wurde.

Nun gilt es zweifelsfrei zu belegen, dass die Messungen vergleichbar und wiederholbar sind. Es müssen daher Standardprozeduren für den Routineeinsatz der Atemanalyse erarbeitet werden. Eine dafür grundlegende technische Arbeit hat Sinues mit andern Forschenden im Frühling 2019 publiziert. Mit jedem analysierten Atemstoss wächst derweil die Datensammlung von Peaks sowie zugehörigen Informationen und wartet darauf, interpretiert zu werden.

15 Minuten statt zwei Tage

Die SESI-Atemanalyse hat laut Sinues eine Zukunft in der Überwachung heikler Dosierungen von Medikamenten. So ist etwa in der Behandlung von Epilepsie oder Krebs das sogenannte «therapeutische Fenster» eng. Das heisst, die Abstände zwischen einer unwirksamen, einer wirksamen und einer schädlichen Dosierung sind klein und die Unterschiede von Patient zu Patient gross. Um gerade bei Kindern eine sichere personalisierte Behandlung zu gestalten, müssen heute eine Reihe von Blutproben entnommen werden. Derzeit arbeitet Sinues daran, die Nadel gegen eine nichtinvasive Atemanalyse zu tauschen. Es wäre eine enorme Entlastung für die Kinder. Unschlagbarer Vorteil dazu: Man weiss sofort, woran man ist, und muss nicht auf die Nachricht aus dem Labor warten. Die angestrebte Entlastung der kleinen Patienten und Patientinnen ist ganz im Sinn der in Basel beheimateten, auf Themen der Kindergesundheit fokussierten Botnar-Stiftung, welche die Anlage finanziert hat.

Um das Ganze zu beschleunigen, hat Sinues das Start-up «Deep Breath Initiative» mitbegründet, das die internationale Forschungstätigkeit in diesem Feld vereinen soll, um sie dem allgemeinen Gesundheitswesen nutzbar machen zu können. Dieses Startup wird von der Universität Basel mit dem Innovation Space unterstützt. In einem weiteren, zusammen mit dem «Exhalomics»-Konsortium an Universität Zürich, Universitätsspital Zürich sowie ETH Zürich betriebenen Projekt wird versucht, per Atemanalyse Lungenentzündungen zu diagnostizieren und deren Erreger nach ihren Stoffwechselprodukten zu unterscheiden. Gelänge das, würde bereits in 15 Minuten ein Resultat vorliegen – heute muss man noch zwei Tage darauf warten, wobei es bei Patienten zu schwerwiegenden Komplikationen kommen kann. 

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