x
Loading
+ -
Augenforschung: Sehkraft erneuern (02/2019)

Buddha und die Urchristen.

Text: Stephan Peter Bumbacher

Hat der Buddhismus aus Indien die ersten Christen im Vorderen Orient beeinflusst? Indizien deuten darauf hin.

illustriertes Portrait von Stephan Peter Bumbacher
Prof. Dr. Stephan Peter Bumbacher (Illustration: Studio Nippoldt)

In Pompeij – im Jahr 79 n. Chr. durch einen Ausbruch des Vesuv zerstört – wurde 1938 eine bestens erhaltene indische weibliche Statuette aus Elfenbein entdeckt, vermutlich die Göttin Lakshmi darstellend. Wie kam sie nach Italien? Noch heute sind in ganz Südindien und sogar in Kashmir römische Münzen zu finden. Wie gelangten sie nach Indien? Weiträumige Wirtschafts- und Kulturkontakte sind nicht erst eine neuzeitliche Erscheinung. So kontrollierten die Römer zu ihren besten Zeiten den Handel um und über das Mittelmeer, unterhielten darüber hinaus im 1. bis 4. Jh. n. Chr. planmässige Schiffsverbindungen nach Indien und verfügten dort sogar über eine Reihe von Handelsniederlassungen, etwa in Muziris (heutiges Cranagore), Poduka (Arikamedu) oder Comari (Kumari). Bereits der Historiker Strabo spricht im 1. Jh. n. Chr. von südostasiatischen Waren, die über das heutige Sri Lanka nach Rom eingeführt wurden.

Kultureller Austausch kann aber auch durch Kriege vermittelt werden. Schon 325 v. Chr. – der Buddha war rund ein Jahrhundert vorher gestorben – gelangte Alexander der Grosse mit seiner Armee und den mitreisenden Wissenschaftlern bis an den Indus. Von ihm berichtete etwa Arrian, dass er, der vom Philosophen Aristoteles ausgebildet worden war, sich auf eine Disputation mit brahmanischen Gymnosophistai oder «Nacktphilosophen» eingelassen hatte, in welchen man Geistesverwandte der griechischen Kyniker erkannte. Griechischer Einfluss ist auch sichtbar in der Kunst von Gandhara, und der indogriechische König Menander (ca. 130–100 v. Chr.), unter indischem Namen Milinda, spielt eine der «Hauptrollen» im buddhistischen Werk Milindapañha. Man kann sich nun fragen, ob auch religiöse Vorstellungen im geistigen Gepäck von Kaufleuten und Karawanenführern oder im «Tornister» von heimkehrenden Soldaten nach Westen gelangt sein könnten. Immerhin finden sich um 230 n. Chr. im Werk Philosophoumenos des Kirchenlehrers Hippolytus präzise Informationen über die religiösen Vorstellungen der Brahmanen, welche die Kenntnis der indischen Upanishaden voraussetzen, möglicherweise in griechischer Übersetzung. Und etwa zur selben Zeit nennt der Kirchenvater Clemens von Alexandria in seinem Werk Stromateis neben den Brahmanen auch die Sarmanen (gemeint: shramanas, Asketen): «Zu den Indern gehören die Anhänger der Lehre des Boútta (Buddha), den sie wegen seiner alles überragenden Heiligkeit wie einen Gott geehrt haben.» Somit verfügten spätestens im beginnenden 3. Jh. christliche Intellektuelle über gewisse Kenntnisse indischer Religionen. Diese können nicht nur auf dem Seeweg in den Westen gelangt sein, sondern auch über die Seidenstrasse, die von Luoyang in China nach Antiochia nahe der Mittelmeerküste und in die Hafenstadt Tyros führte. Auf dieser Route breitete sich der Buddhismus spätestens seit dem 1. Jh. n. Chr. ostwärts nach China aus.

Könnten buddhistische religiöse Inhalte oder Motive in mündlicher Form über Zwischenstationen und Sprachgrenzen hinweg bis nach Palästina gelangt sein und Eingang ins Neue Testament gefunden haben? In der Tat gibt es eine Reihe von Forschern, die dies bejahen. Von den gefundenen Textkandidaten sollen hier zwei Beispiele vorgestellt werden. Unter den bekannten Religionen findet sich nur im Buddhismus und im Christentum eine böse, verführerische Macht, welche ihre Stifter einer Prüfung unterzieht: In den frühen Hīnayāna-Schriften tritt Māra, der Böse, auf, um Gautama (Buddha) von seinem Weg abzubringen. Erst soll dieser der Askese entsagen, später versucht Māra, ihn mit aller Macht an der Erleuchtung zu hindern. Schliesslich will der Böse den greisen Buddha dazu bringen, vorzeitig ins Nirvā . na einzugehen, worauf sich dieser nicht einlässt. In späteren Mahāyāna-Schriften wird die Versuchungsszene im Detail ausgestaltet: Drei Versuche unternimmt Māra, um Gautama an der Erleuchtungs- Meditation zu hindern. Zunächst greift er ihn mit einem Dämonenheer an, dann mobilisiert er die Naturgewalten und schliesslich wenden seine drei Töchter all ihre Verführungskünste an. Es versteht sich, dass Gautama allen Versuchungen standhält.

Eine inhaltliche Parallele kann man im Neuen Testament sehen: Hier ist es der Teufel, der Jesus einer Prüfung unterzieht. Während die Versuchung Jesu von Johannes nicht und von Markus lediglich mit einem Satz erwähnt wird, schildern Matthäus und Lukas die Versuchung Jesu in der Wüste nach langem Fasten: Der Teufel forderte ihn auf, aus Steinen Brot werden zu lassen. Es folgen zwei weitere Episoden: Jesus wird auf die Zinnen des Tempels gebracht, um sich von dort hinabzustürzen, denn als Gottes Sohn würden ihn die Engel auf Händen tragen. Auch wurden ihm auf einem sehr hohen Berg alle Reiche der Welt vorgeführt, die ihm zu eigen sein würden, wenn er bereit wäre, sich vor dem Teufel niederzuwerfen und ihn anzubeten. Jesus widersteht auch diesem.

Bei allen Unterschieden ist der buddhistischen und der christlichen Geschichte gemeinsam, dass ihre Religionsstifter an einem einsamen Ort in Versuchung geraten, dass zwischen Versucher und Versuchtem ein Gespräch stattfindet, dass der Versucher «Herrscher» dieser Welt ist und dass sowohl Buddha wie Jesus vor ihrem Eintritt ins öffentliche Leben stehen. Eine Textabhängigkeit beider Geschichten besteht nicht, eine motivische Verwandtschaft hingegen schon: Hätte Gautama der Versuchung nicht widerstanden, wäre er um seine Erleuchtung – und im Nachgang dazu um seine Lehre – geprellt worden. Hätte Jesus nachgegeben, wäre er nicht zu seiner Mission gekommen.

Eine zweite Parallele stellen die Wundergeschichten vom Wandeln auf dem Wasser von Buddha und Jesus dar. In einem alten Text, dem Mahāvagga des Vinaya Pitaka, ist von einer Überschwemmung die Rede. Der Buddha geht alleine meditierend auf dem Wasser. Kassapa, einer anderen religiösen Tradition angehörend, fürchtet um ihn und begibt sich mit Gleichgesinnten in einem Boot zu ihm. Bei Buddha angekommen, fragt er: «Bist Du es, grosser Asket? » Der Buddha bejaht und besteigt das Boot. Kassapa aber soll sich dank dieses Wunders zur Tradition des Buddha bekehrt haben. Im Neuen Testament bei Matthäus betet Jesus alleine auf dem Berg. Die Jünger, welche sich in einem Boot auf dem See befinden, geraten in Not. Sie sehen plötzlich eine auf dem Wasser wandelnde Gestalt, erkennen Jesu aber nicht und halten ihn für ein Gespenst. Jesus spricht sie an, gibt sich zu erkennen, besteigt das Boot und der Wind legt sich. Hier werden die kleingläubigen Jünger in ihrem Glauben bestärkt.

Unterschiede zwischen der buddhistischen Version und der christlichen Parallele sind nicht zu übersehen: Der Buddha befindet sich scheinbar in Not – die Jünger Jesu sind in Gefahr. Die Anhänger einer anderen Tradition sind im Boot – Jesu eigene Anhänger befinden sich im Schiff. Anderseits sind Gemeinsamkeiten offenkundig: Beide Protagonisten sind an einem einsamen Ort mit sich selber beschäftigt (Meditation, Gebet), beide wandeln auf unruhigem Wasser, jedes Mal wechselt die Optik: Blick weg vom Meister auf das Boot mit Jüngern, die erstaunt oder von Furcht ergriffen sind. Beide geben sich zu erkennen und besteigen das Boot. Und in beiden Fällen verändert sich der Glaube der Jünger.

Die buddhistische Version könnte der christlichen als Vorbild gedient haben, aber den christlichen Bedürfnissen entsprechend umgestaltet und so in den Kontext des Neuen Testaments integriert worden sein, dass ihr Ursprung nicht mehr zu erkennen war. Man kann also davon ausgehen, dass sich Religionen in der Regel nicht isoliert, sondern im Wechselspiel gegenseitiger Rezeption, Aneignung und Ablehnung entwickelt haben, beeinflusst durch religiöse Vorstellungswelten, sich verändernde ökonomische Rahmenbedingungen sowie wechselnde zeitgeschichtliche Umstände und politische Machtverhältnisse.

nach oben