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Wie wir entscheiden. (01/2020)

Der Krieg in Bildern.

Text: Michelle Isler

Zerstörte Brücken, leere Strassen, rennende Menschen: Eine Basler Historikerin hat sich gefragt, ob es in Fotografien aus dem Bosnienkrieg (1992–1995) eine eigene Bildsprache gibt. Sie fand Antworten.

Marathonläufer beim Training: Foto aus dem Bosnienkrieg, erschienen 1994. (Foto: Thomas Kern)
Marathonläufer beim Training: Foto aus dem Bosnienkrieg, erschienen 1994. (Foto: Thomas Kern)

Wie Medien über einen Krieg berichten, ist nicht zufällig. Motive werden gewählt, Ausschnitte ausgesucht und Schauplätze ins Zentrum gerückt – und andere weggelassen. Die fotografische Kriegsberichterstattung kennt seit ihrem Aufkommen im 19. Jahrhundert wiederkehrende Muster, viele von ihnen angelehnt an die Historienmalerei. Für ihre Dissertation ist Nadine Freiermuth Samardžić vom Departement Geschichte der Frage nach solchen Mustern und Besonderheiten in der fotografischen Darstellung des Bosnienkriegs auf den Grund gegangen. Dafür sichtete sie einen Bestand von rund 5 000 Fotos aus deutschsprachigen illustrierten Zeitschriften.

Schüsse aus Fenstern

Und sie wurde fündig. Als eine sich wiederholende Perspektive identifizierte sie zum Beispiel die Kameraeinstellung, bei der den Bewaffneten über die Schulter geschaut wird. Eine weitere Beobachtung betrifft die fotografische Inszenierung von zivilen Kriegsschauplätzen. So zeigen viele Fotos Schützen, die aus Büro- oder Schlafzimmerfenstern hinauszielen. Die Kombination von solchen Settings mit der «Schulterblickperspektive» macht deutlich: Die Kriegshandlungen finden nicht auf einem unbewohnten Schlachtfeld statt, sondern mitten im privaten Raum. Die Fotografinnen und Fotografen waren überall nahe dabei.

«Diese Fotos dominierten und sind charakteristisch für die Berichterstattung über die damalige Kriegsführung in Bosnien», resümiert die Forscherin. «Solche Kriegsbilder, wie sie uns heute auch aus Syrien erreichen, waren ein klarer Bruch gegenüber dem Irakkrieg kurz zuvor.» Die Medienberichterstattung über jenen als «Cyberwar» bezeichneten Konflikt am Golf zeigte nämlich grösstenteils eine rein technisierte Kriegsführung in Form von Computerbildern. Menschen wurden dabei kaum abgebildet. «So scheint der Bosnienkrieg wie aus der Zeit gefallen. Die Bilder greifen Motive auf, die man aus dem Spanischen Bürgerkrieg und dem Zweiten Weltkrieg kennt: einfache Waffen, uneinheitlich gekleidete Milizen, Bodenkrieg», sagt Freiermuth Samardžić.

Primitiver Osten, schockierter Westen

Diese Beobachtungen verknüpfte die Forscherin mit Balkan- und Orientalismus-Diskursen. Sie stellte dabei fest, wie bestehende Narrative in die Art und Weise der Kriegsberichterstattung eingingen. Dazu gehören jene der Rückständigkeit des Balkans und dessen Gewaltbereitschaft. Ein Grossteil des Kulturguts fiel der rohen Gewalt zum Opfer, die Kämpfer inszenierten sich vor den Kameras als brutale Bandenführer mit Sturmmasken und Totenschädel. Die Medien griffen dieses Bild primitiver Gesellschaften bereitwillig auf. «Gewisse Zeitschriften druckten auch Bilder von Exekutionen ab», sagt die Historikerin.

Die Skrupellosigkeit der Bildberichterstattung verrät auch etwas über die Situation der Pressefotografie der 1990er Jahre. Viele deutschsprachige Magazine kämpften damals angesichts sinkender Auflagezahlen ums Überleben. Die medienethisch fragwürdigen Fotos stellten den einstigen Glanz des Fotojournalismus infrage, dessen Selbstbild im 20. Jahrhundert von einem aufklärerischen Anspruch geprägt war. Damit hatten solche «Schockfotos» wenig zu tun.

«Sniper Alley» im Fokus

In Bildern aus Sarajevo identifizierte Freiermuth Samardžić schliesslich eine spezifische Ästhetik der Darstellung des Bosnienkriegs. Die Hauptstadt, die 1425 Tage lang belagert wurde, spielte in den Medienberichten eine wichtige Rolle. Besonders die sogenannte «Sniper Alley» erhielt weltweite Aufmerksamkeit, und mit ihr ein typisches Motiv: Menschen, die vor Heckenschützen davonrennen.

Die unter Beschuss genommene Strasse war zwar auch für die Presseleute gefährlich, aber sie fanden dort garantiert attraktive Sujets für ihre Aufnahmen. Der «entscheidende Augenblick», den es nach Henri Cartier-Bresson für ein gutes Foto braucht, war in der «Sniper Alley» wiederholbar. Um Verwandte zu besuchen, Wasser zu besorgen oder einer Arbeit nachzugehen, konnten die meisten in Sarajevo nämlich gar nicht anders, als diese Hauptverkehrsstrasse zu überqueren.

Menschen in der «Sniper Alley» bewegten sich also im Fadenkreuz und im Kamerasucher zugleich. Freiermuth Samardžić identifizierte mehrere solche Paradoxa in den Darstellungen aus dem Bosnienkrieg: So tut sich ein Anachronismus zwischen dem brutalen Krieg und dem modernen Selbstbild Europas auf. Gleichzeitig rückten die Bilder eine städtische Kulisse mit urbaner Architektur und Infrastruktur in den Fokus. «Sie bildet damit eine Erfahrungswelt ab, die in den westlichen Medien durchaus gängig war», erklärt die Forscherin.

Gebrochen wurde dieses Setting wiederum durch die sichtbaren Kriegsspuren wie komplett zerstörte Strassen mit ausgebrannten Autos. Solche dramatischen Kriegsbilder kursierten weltweit in den Medien – in Sarajevo selbst bekam die abgeschottete Bevölkerung diese aber nicht zu Gesicht. Ein weiteres Paradox: Was für die Bewohnerinnen und Bewohner unmöglich war, schafften die Presseleute vergleichsweise einfach. Sie konnten Fahrten und Direktflüge in und aus dem Krisengebiet organisieren.

Vor dem Krieg davonrennen

Unter den Tausenden von Pressebildern gibt es eine Aufnahme, die für sie viele Aspekte ihrer wissenschaftlichen Arbeit vereine, erzählt Freiermuth Samardžić. Das Bild des Schweizer Fotografen Thomas Kern, erschienen 1994 im «Magazin», zeigt einen rennenden Mann in den Strassen von Sarajevo. Die Pointe: Der Abgebildete, Islam Dzugum, ist laut Bildunterschrift ein Marathonläufer beim Training. Täglich legte er damals bis zu 35 Kilometer zurück und musste seine Route wegen der Scharfschützen ständig ändern.

«Der Fotograf hat diesem Bild eine doppelte Bedeutung gegeben», so die Forscherin. Er habe zwar den eingängigen Topos vom täglichen Überlebenskampf in der belagerten Stadt aufgegriffen, aber auch mit der Doppeldeutigkeit des Motivs gespielt. Denn die Geschichte dahinter unterscheide sich von dem, was man nach der Sichtung all dieser Fotos erwarten würde. «In gewisser Weise rennt zwar auch dieser Mann vor dem Krieg davon – aber nicht nur als Opfer, sondern auch als handelndes Subjekt: als Sportler im Kriegsgebiet.»

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