Vom Bauchgefühl beim Aktienkauf.
Text: Yvonne Vahlensieck
Auch wenn wir es gern glauben mögen: Wirtschaftliche Entscheidungen fällen wir nicht immer mit Vernunft. Mehr und mehr zeigt sich, dass unsere Emotionen ebenfalls eine massgebliche Rolle spielen.
Soll ich ein Haus kaufen oder lieber weiter zur Miete wohnen? Soll ich meine Ersparnisse in Aktien anlegen? Kann ich es mir leisten, mein Arbeitspensum zu reduzieren? Wie Menschen über solche Fragen entscheiden, ist ein wichtiges Forschungsgebiet der Wirtschaftswissenschaften. «Nur wenn man dieses Verhalten versteht, ist es möglich, wirtschaftliche Prognosen zu treffen», sagt der Mikroökonom Dr. Armando Meier, der an der Universität Basel promoviert hat und gerade einen Post-Doc-Aufenthalt an der Universität Chicago absolviert. «In der Gesamtheit haben solche kleinen Entscheidungen auch Auswirkungen auf grössere Entwicklungen in der Wirtschaft.»
Umfrage mit 30 000 Menschen
Es ist schon lange bekannt, dass Menschen in wirtschaftlichen Angelegenheiten nicht immer rational handeln. Oft sind es auch die Gefühle, die den Ausschlag geben. Dies zeigen unter anderem Laborversuche zur Risikobereitschaft: Für solche Experimente versetzen die Forschenden ihre Versuchspersonen künstlich in den gewünschten Gefühlszustand – etwa, indem sie ihnen mit einem Horrorfilm Angst einjagen oder sie mit Musik in eine glückliche Stimmung versetzen. Anschliessend wird die Risikobereitschaft mithilfe einer Glücksspielsimulation gemessen. Allerdings ergeben solche Versuche je nach gewählter Methode manchmal widersprüchliche Resultate.
Deswegen ergänzen Mikroökonomen wie Armando Meier die Laborexperimente mit Daten aus dem alltäglichen Leben. Die Grundlage dafür sind grosse Umfragen, wie das in Deutschland durchgeführte sogenannte Sozio-oekonomische Panel. Hierfür werden seit 1984 jährlich die gleichen Personen zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen, zur Lebenszufriedenheit und zu vielen weiteren Themen befragt. In gewissen Jahren gaben die Teilnehmenden auch Auskunft über ihren aktuellen Gefühlszustand sowie über ihre Risikobereitschaft und Geduld. «Anhand dieses grossen Datensatzes konnte ich anschauen, wie sich die Emotionen der Menschen im alltäglichen Kontext auswirken, und so die verschiedenen Hypothesen überprüfen», sagt Meier. Für seine Analyse standen ihm etwa 170 000 Angaben von über 30 000 Personen zur Verfügung.
Wer glücklich ist, riskiert mehr
Konkret untersuchte Meier, wie die Gefühle Glück, Angst und Wut die Risikobereitschaft und Geduld beeinflussten. Es zeigte sich, dass sowohl Glück als auch Wut dazu führen, dass die Menschen eher bereit sind, etwas zu riskieren. Angst dagegen bewirkt das Gegenteil und macht vorsichtiger. Ein glücklicher (oder wütender) Mensch wagt also wahrscheinlich eher etwas Neues als jemand, der gerade ein traumatisches Erlebnis hinter sich hat. So liesse sich beispielsweise erklären, warum ein Terroranschlag vorübergehend negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum hat – die Menschen haben Angst und scheuen vor neuen Investitionen zurück.
Auch die Geduld ist von den Gefühlen abhängig: Während ein Glücksgefühl die Geduld erhöht, stufen sich wütende oder ängstliche Menschen eher als ungeduldig ein. Auch dies kann sich auf wirtschaftliche Entscheidungen auswirken: Während ein geduldiger Mensch eher in langfristige Geldanlagen investiert, stösst ein ungeduldiger Mensch wenig einträgliche Wertpapiere schnell wieder ab.
Selbsteinschätzung von Gefühlen
In einer weiteren Analyse konnte Meier nachweisen, dass die Gefühle das Verhalten beeinflussen und nicht umgekehrt: «Theoretisch könnte es ja auch sein, dass sich zuerst die Risikobereitschaft und dann dadurch erst die Emotionen ändern.» Deshalb sah sich Meier die Daten von Menschen genauer an, die im Befragungszeitraum einen Elternteil oder ein Kind verloren hatten. Ein solches Ereignis führte dazu, dass sich die Personen weniger glücklich fühlten und auch die Risikobereitschaft abnahm. Dieser zeitliche Verlauf weist darauf hin, dass tatsächlich die Änderung der Gefühle die Ursache für die Verhaltensänderung war.
Obwohl seine Analysen auf subjektiven Selbsteinschätzungen der Befragten beruhen, hält Meier die Ergebnisse für robust: Wie Untersuchungen anderer Forschungsgruppen gezeigt haben, stimmt die Selbsteinschätzung von Gefühlen generell sehr gut mit der Wirklichkeit überein. Ausserdem hat Meier zahlreiche weitere Korrekturen vorgenommen, um den Einfluss anderer Faktoren wie etwa Vermögensverhältnisse oder gesundheitliche Probleme auszuschliessen. Insgesamt kommt er zum Schluss, dass Gefühle für Risikohaltung und Geduld eine grössere Rolle spielen als bisher gedacht – verglichen mit der Altersgruppe und der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht scheinen sie sogar recht wichtig zu sein.
Über die dabei zugrunde liegenden psychologischen Zusammenhänge ist laut Meier noch recht wenig bekannt: «Die Psychologen haben zwar schon einige Experimente in dieser Richtung gemacht und verschiedene Hypothesen aufgestellt, doch bis jetzt widersprechen sich viele der Resultate noch.» Eine der vorgeschlagenen Hypothesen besagt beispielsweise, dass sowohl Glück als auch Wut ein Gefühl von Kontrolle vermitteln, was zu einer Erhöhung der Risikobereitschaft führt.
Mehr Neinstimmen bei Regen
Auch wenn die Mechanismen noch nicht genau geklärt sind, sollten Wirtschaftswissenschaftler den Effekt von Emotionen also nicht unterschätzen. Das bestätigt auch die Studie, die Meier im Rahmen seiner Doktorarbeit in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Alois Stutzer an der Universität Basel in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Lukas Schmid an der Universität Luzern angefertigt hat. Darin untersuchte er den Zusammenhang zwischen dem Wetter und dem Ergebnis von Volksabstimmungen in der Schweiz, und zwar zwischen den Jahren 1958 und 2014. Es zeigte sich dabei, dass die Bevölkerung bei Regen eher mit Nein – also für den weniger risikoreichen Status quo – stimmt als bei trockenem Wetter.
Dieser Effekt beruhte nachweislich nicht darauf, dass bestimmte Wählergruppen bei Regen nicht wählen oder abstimmen gehen. Auch einige andere mögliche Faktoren liessen sich ausschliessen. Für Meier und Stutzer ist die plausibelste Erklärung deshalb, dass Regenwetter die Wählenden in schlechte Stimmung versetzt und ihnen dadurch die Lust vergeht, mit ihrer Jastimme grosse und risikoreiche Veränderungen herbeizuführen. Ohne den Einfluss von solchen wettergesteuerten Gefühlen wäre so manche knappe Abstimmung anders ausgegangen – und die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz hätte bei anderem Wetter an den Abstimmungswochenenden möglicherweise einen anderen Lauf genommen.
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