Amtszeitbeschränkung: Parlamentarier passiver und weniger parteitreu
Mitglieder von Schweizer Parlamenten mit Amtszeitbeschränkung folgen gegen Ende weniger der Parteilinie – und lassen in ihren Aktivitäten erst noch nach. Dies trifft vor allem auf das Bundesparlament zu, wie eine Studie mit Beteiligung der Universität Basel ergab.
16. Dezember 2020
Rotationen seien nötig, damit neue, unverbrauchte Personen frischen Wind in die Parlamente bringen können, wird zugunsten der Amtszeitbeschränkung argumentiert. Damit würde der Entstehung eines Politikerfilzes entgegengewirkt, und amtsältere Abgeordnete seien nicht unbedingt besser als neu eintretende. Die Gegner der Amtszeitbeschränkung betonen neben der Kontinuität die Erfahrung und Sachkunde der langjährigen Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Zudem komme es mit der Amtszeitbeschränkung in den Räten neben der schon bestehenden Rotation zu zusätzlichen personellen Wechseln.
In einigen parlamentarischen Systemen der Schweiz sind bestimmte Amtszeitbeschränkungen vorgeschrieben. Wegen des föderalen Charakters des Landes gelten diese Begrenzungen auf verschiedenen Ebenen und sind von unterschiedlicher Dauer; gemessen werden sie entweder in Legislaturen (meist drei bis fünf) oder Amtsjahren (meist 12 oder 16). Die Amtszeiten ihrer parlamentarischen Vertreter und Vertreterinnen einschränken können auch kantonale Sektionen der Parteien, welche solche Bestimmungen wiederum unterschiedlich streng anwenden. Für die Mitglieder der Kantonsparlamente von Basel-Stadt und Baselland gelten derzeit Amtszeitbegrenzungen von vier Amtsperioden.
Parlamente während 16 Jahren untersucht
Eine Forschungsgruppe hat nun das Verhalten von Abgeordneten im National- und Ständerat gemessen – mit und ohne Amtszeitbeschränkung. Gesammelt wurden neu zusammengetragene Daten in Form von Reden, Vorstössen und Abstimmungen über insgesamt 16 Jahre. Gleichzeitig erforschte das Team das entsprechende Verhalten in den kantonalen Parlamenten von Basel-Stadt (Grossrat) und Baselland (Landrat). Die Resultate der Studie im SNF-Projekt «Parliamentary Careers in Comparison» mit Beteiligung der Politologin Prof. Dr. Stefanie Bailer von der Universität Basel wurden im Fachblatt «Legislative Studies Quarterly» veröffentlicht.
Unterschiede zwischen Bund und Kantonen
Die Forschenden stiessen auf Bundesebene auf Hinweise, dass Abgeordnete mit Amtszeitbeschränkung gegen Ende ihr Verhalten ändern, da sie nicht wiedergewählt werden können. Sie weichen in den Abstimmungen eher von der Position ihrer Partei ab. Ebenso reduzieren sie eher ihre parlamentarischen Aktivitäten, beteiligen sich also weniger an Voten und Abstimmungen, enthalten sich öfter der Stimme und reichen weniger Vorstösse ein. Kaum einen Einfluss auf das Verhalten hat die Amtszeitbeschränkung dagegen in den beiden untersuchten Kantonen.
Solche Unterschiede zwischen Bund und Kanton könnten darauf zurückzuführen sein, dass kantonale Parlamentarier nach der letzten Amtszeit noch in den National- oder Ständerat gewählt werden können oder wollen, kommentiert Erstautorin Dr. Elena Frech die Ergebnisse der Studie. Daher würden sie weniger von der Parteiposition abweichen. Umgekehrt sei die politische Karriere der Mitglieder von National- und Ständerat mit der letzten Amtszeit meist vorüber, was den Effekt der Beschränkung noch verstärken könnte. «Insgesamt konnten wir zeigen», so Frech, «dass Amtszeitbeschränkungen potenziell auch negative Nebeneffekte haben».
Originalpublikation
Elena Frech, Niels D. Goet, Simon Hug
Shirking and Slacking in Parliament
Legislative Studies Quarterly (2020), doi: 10.1111/lsq.12288
Weitere Auskünfte
Dr. Elena Frech, derzeit Universität Konstanz, Tel. (auf Anfrage erhältlich: +41 61 207 24 95), E-Mail: elena.frech@unige.ch