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Zwischen Schockstarre und Flucht

Forscher des Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research (FMI) und der Universität Basel haben zwei Zelltypen im Mandelkern des Gehirns identifiziert, die eindeutige aber unterschiedliche Furchtreaktionen auslösen. Ein Zelltyp löst die Schockstarre, der andere die Flucht aus. Beide Zelltypen beeinflussen sich ausserdem gegenseitig, sodass ein Gleichgewicht entsteht, das je nach Situation in die eine oder andere Richtung kippen kann. Diese neuen Erkenntnisse zum Furchtverhalten publizierten die Forschenden in der Fachzeitschrift Nature.

26. Januar 2017

Unsere Furchtreaktion kennt verschiedene Eskalationsstufen. Während uns nachts im Wald ein Knacken im Unterholz kurz innehalten lässt, rennen wir sicher los, sollte das Knacken schnell und laut auf uns zukommen. Nur, wie lange können wir einfach verharren und wann müssen wir spätestens flüchten, um nicht zu Schaden zu kommen?

Auch kleine Nagetiere wie Mäuse kennen und erlernen ähnliche Verhaltensmuster, um auf reelle und vermutete Gefahren zu reagieren. Auch sie schalten um zwischen Erstarren und Flüchten. Was diesen Switch zwischen den zwei Verhaltensweisen jedoch auslöst, war bis anhin unklar.

Mit einer Reihe von Verhaltenstests und optogenetischen Methoden konnte die Forschungsgruppe um Andreas Lüthi, Gruppenleiter am FMI und Professor an der Universität Basel, die Nerveninteraktionen im Mäusehirn identifizieren, die den Switch zwischen passivem und aktivem Furchtverhalten, zwischen Erstarren und Flucht, auslösen.

Sie konnten zeigen, dass zwei unterschiedliche Nervenzelltypen im Mandelkern für die verschiedenen Furchtreaktionen zuständig sind. Der Mandelkern ist eine haselnussgrosse Hirnregion, die schon lange als Furchtzentrum bekannt ist. Einer dieser Zelltypen ist durch das Protein Corticotropin-releasing factor (CRF) charakterisiert. Wird dieser Zelltyp angeregt, löst das die Flucht aus. Der andere Zelltyp produziert das Protein Somatostatin (SOM) und initiiert die Schockstarre.

Interessanterweise sind beide Zelltypen über neuronale Verbindungen miteinander verbunden. Sie hemmen sich gegenseitig. Fällt jedoch eine Hemmung auf Grund von Inputs aus anderen Hirnregionen weg, dann prägt sich das entsprechend andere Verhalten aus. «Es besteht also ein Gleichgewicht, das bei Gefahr rasch in die eine oder andere Richtung kippen kann», erklärt Jonathan Fadok, Postdoktorand in Andreas Lüthis Gruppe und Erstautor der Studie. «Dabei können der Kontext, Sinneseindrücke wie Geräusche und Gerüche, aber auch Erfahrungen und Emotionen berücksichtigt werden.»

Ob dieselben Zellen auch beim Menschen eine Rolle spielen, muss erst noch gezeigt werden. Die Furchtstrategien, die in einer gefährlichen Situation eingesetzt werden, sind bei vielen Arten jedoch identisch, da sie das Überleben sichern. «Wir können uns darum vorstellen, dass ein ähnliches Gleichgewicht auch die Furchtreaktionen beim Menschen steuert», kommentiert Lüthi. Er führt weiter aus, dass besonders bei Angststörungen, dieses Gleichgewicht in Richtung eskalierender Furchtreaktionen verschoben sein könnte.

Originalbeitrag

Jonathan P. Fadok, Sabine Krabbe, Milica Markovic, Julien Courtin, Chun Xu, Lema Massi, Paolo Botta, Kristine Bylund, Christian Müller, Aleksandar Kovacevic, Philip Tovote & Andreas Lüthi
A competitive inhibitory circuit for selection of active and passive fear responses
Nature (2017), doi: 10.1038/nature21047


Weitere Auskünfte

  • Prof. Dr. Andreas Lüthi, Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research / Universität Basel, Tel. +41 61 697 82 71, E-Mail: andreas.luthi@fmi.ch
  • Dr. Sandra Ziegler, FMI Kommunikation, Tel. +41 61 696 15 39, E-Mail: sandra.ziegler@fmi.ch
Thematischer Schwerpunkt
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