Supercomputer für ein besseres Leben
Hochleistungsrechner haben Wissenschaft und Industrie revolutioniert. Die Informatikprofessorin Florina Ciorba forscht nach Wegen, um das Zusammenspiel zwischen den Maschinen zu optimieren. Dabei findet sie auch viele Parallelen zum realen Leben.
Hoch oben im Haus an der Spiegelgasse 1 in Basel befindet sich das Büro von Florina Ciorba, Professorin für Hochleistungsrechnen am Departement Mathematik und Informatik. Der Blick reicht weit über die Dächer der Stadt, an der Wand hängen Kinderzeichnungen – keine Spur von düsterer Programmiererbude, alles hier macht einen heiteren Eindruck, wie auch die Wissenschaftlerin selbst. Sie kommt gerade von einem Frauenlunch zurück, den sie regelmässig mit ihren Kolleginnen am Departement organisiert. «Wir brauchen in unserem Fach mehr weibliche Vorbilder», sagt sie.
Informatik als Schlüsseltechnologie
Die 43-jährige Informatikerin, die fünf Sprachen spricht, ist eine gefragte Rednerin bei Technologiekonferenzen. Bei der 2019er-Ausgabe der Internationalen Supercomputing Conference in Frankfurt am Main moderierte sie ein Video-Highlight. Sie habe mächtig geschwitzt bei diesem Auftritt, sagt Ciorba im Rückblick lachend. Dennoch findet sie solche Formate wichtig, die sie als einen Teil ihres Bildungsauftrags versteht. Neben der wissenschaftlichen Exzellenz möchte sie auch mehr Sichtbarkeit für die Universität Basel im Bereich Supercomputing schaffen.
Supercomputing oder High-Performance Computing ist ein Teilgebiet der elektronischen Rechentechnik und nimmt in Wissenschaft und Industrie zunehmend mehr Raum ein. Dabei werden hoch komplexe und grosse Datenmengen verarbeitet, die so anspruchsvoll sind, dass sie mit Standardcomputern nicht mehr durchgeführt werden können. Die dabei eingesetzten Anlagen bestehen oft aus Tausenden von Computern, die parallel an gewaltigen Aufgaben arbeiten, aus sogenannten Superrechnern. Die wohl populärste Anwendung davon ist die Wetter- und Klimavorhersage, aber auch in vielen anderen Gebieten sind die grossen Maschinen mittlerweile unverzichtbar geworden. Ihr Einsatz reicht von der Erforschung der Ausbreitung von Epidemien wie Covid-19 über die Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe bis zu Crashsimulationen im Fahrzeugbau.
Jenseits der Anwendung: Algorithmus-Optimierung
Die Forscherin verwendet High-Performance Computing in erster Linie für Simulationsverfahren in der Wissenschaft, vor allem in den Bereichen Physik und Kosmologie. So etwa befasst sich eines ihrer aktuellen Projekte mit der Entstehung supermassiver Schwarzer Löcher im frühen Universum. «Auf diese Weise können wir Fragen untersuchen, die sonst nicht oder nur mit grossem Aufwand über reale Experimente gewonnen werden könnten. Die Grenzen der Simulation liegen neben der Hardware im enormen Aufwand an paralleler Programmierung.»
Eben hier liegt Ciorbas Fokus und der Aspekt ihrer wissenschaftlichen Arbeit, der sie am meisten begeistert: Algorithmische Probleme, die das Zusammenspiel mehrerer Computer betreffen. Mit ihrer Forschungsgruppe entwickelt sie Methoden, welche die Arbeitsabläufe innerhalb von Computerclustern effizient regeln und im Fall von «Staus» eine dynamische Neuverteilung der Aufgaben ermöglichen. Zu solchen Engpässen kann es immer dann kommen, wenn etwa ein Cluster besonders grosse oder schwierige Rechnungen zu erledigen hat und dadurch überlastet wird. Da in einem komplexen System selbst kleinste Fehler schwer ins Gewicht fallen können, sind adaptive Algorithmen essenziell. Ihre Expertise auf diesem Gebiet bringt Ciorba derzeit auch bei dem Horizon 2020-Projekt Daphne der Europäischen Union ein.
Synchronisation am Abend
Wenn sie über ihre Arbeit spricht, sprudeln die Analogien nur so aus ihr heraus: «Eigentlich ist jede Familie ein Supercomputer. Denn wie bei einem verteilten System hat jedes Mitglied einen eigenen Kopf und eigene Gedanken; aber es handelt sich auch um ein paralleles System, denn alle leben im selben Haus und schwärmen jeden Tag mit ihren Aufgaben in die Gesellschaft aus. Am Abend kommt man wieder zurück und synchronisiert sich. Dabei ist es wichtig, sich bei Bedarf Mitteilungen senden zu können: ‹Hey, ich bin mit meiner Arbeit fertig› oder ‹Du, ich bin etwas spät dran›. Genauso machen es auch die Computer.»
Ciorba kommt ursprünglich aus Rumänien und hat die Anfänge des World Wide Web noch als Schülerin miterlebt. Mathematik und Physik gehörten früh zu ihren Stärken, wie überhaupt alles, was mit Logik zu tun hat. In den 1990er Jahren verbrachte sie viel Zeit in Computerlabors. Sie war fasziniert von der Idee der Netzwerke im World Wide Web, beschäftigte sich mit Newslettern, unterhielt Kontakte über PenPal und lernte auf diese Weise Englisch, nachdem sie bis zu ihrem 18. Lebensjahr ausschliesslich Rumänisch gesprochen hatte.
Während des Informatikstudiums ging Ciorba für ein Erasmus-Semester nach Griechenland. «Das war keine besonders rationale Entscheidung, denn ich wollte einfach nur an die Sonne», erinnert sie sich lächelnd. Aber die Kultur und die Menschen in Athen begeisterten sie. Sie lernte Griechisch, entdeckte die Welt des parallelen Computing und entschied sich für das Doktoratsstudium. Für sechs Jahre wurde Griechenlands Hauptstadt ihr zweites Zuhause. Danach folgten Stationen in den USA und Deutschland, bevor sie nach Basel berufen wurde. 2020 erhielt sie die unbefristete Anstellung und Beförderung zur Associate Professorin.
Frauen in Führungsrollen
Die erste grössere Herausforderung ihrer Arbeit in Basel war für die Wissenschaftlerin, eine Forschungsgruppe zu führen. Das sei eine ganz neue Aufgabe für sie gewesen. Auch hier war sie bald auf der Suche nach einer optimalen Lösung und stiess dabei auf die Coaching-Angebote der Universität Basel. Diese hätten ihr sehr geholfen, in ihre neue Rolle hineinzuwachsen. Auf die Frage, ob sich aus ihrer Sicht das Führungsverhalten zwischen den Geschlechtern unterscheidet, sagt sie: «Ich denke, es spielt keine Rolle, ob man als Frau oder als Mann führt. Es scheint mir mehr eine Sache der Persönlichkeit und der Bereitschaft, auch das eigene Führungsverhalten kritisch zu reflektieren.»
Trotzdem ist die Informatikprofessorin überzeugt, dass der weibliche Nachwuchs in ihrem Fach stärker gefördert werden soll. Seit fünf Jahren engagiert sie sich daher bei einer Fraueninitiative am Departement, die mehrmals im Semester zusammenkommt. Ziel ist es, einen Raum für Austausch und Empowerment für die Nachwuchswissenschaftlerinnen zu schaffen. Ihr selber hätten weibliche Vorbilder lange gefehlt. Wenn sie dennoch bei den Hochleistungsrechnern gelandet ist, dann vielleicht auch, weil sie manchmal etwas stur sein könne, sagt sie. «Ich denke, es ist wichtig, dass wir unsere Kinder mit der Überzeugung erziehen, dass es kein wissenschaftliches Fach oder Problem gibt, das nicht auch Frauen stemmen können.»
Supercomputing zur Beschleunigung wissenschaftlicher Entdeckungen
Im kürzlich gestarteten Horizon 2020 Projekt Daphne, das von der Europäischen Union mit 6.6 Millionen Euro über vier Jahre gefördert wird und 13 Partner umfasst, untersucht Ciorba, wie man eine offene und erweiterbare Systeminfrastruktur für integrierte Datenanalyse-Pipelines definieren und aufbauen kann. Solche Pipelines umfassen Datenmanagement und -verarbeitung, High-Performance-Computing sowie Training und Scoring für maschinelles Lernen.
In einem anderen mehrjährigen Kooperationsprojekt, welches von der Platform for Advanced Scientific Computing Initiative PASC unterstützt wird, entwickelt Ciorba mit Forschungspartnern ein extremes Simulations-Framework, um bestehende wie auch neue Herausforderungen in den Bereichen Kosmologie und Astrophysik zu lösen. Ziel ist es, die Entstehung, das Wachstum und die Verschmelzung von supermassiven Schwarzen Löchern im frühen Universum sowie die Planetenbildung mit hochauflösenden Modellen und Supernova-Explosionen zu simulieren. Dabei werden die schnellsten heute verfügbaren Supercomputer zum Einsatz kommen, wie etwa dem Piz Daint am Swiss National Supercomputing Centre in Lugano.
Weiterführende Links
- Departement Mathematik und Informatik der Universität Basel
- Forschungsgruppe High Performance Computing
- DAPHNE – Integrated Data Analysis Pipelines for Large-Scale Data Management, HPC, and Machine learning
- PASC – Platform for Advanced Scientific Computing
- Piz Daint
- Swiss National Supercomputing Centre