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Lernen von Afrika

Wissen und Innovation fliessen immer nur in eine Richtung – von reich nach arm. Diese geläufige Vorstellung hinterfragt die Basler Geschichtsprofessorin und Afrikaforscherin Julia Tischler. Sie will herausfinden, was westliche Industrienationen von Afrika lernen können, zum Beispiel im Gesundheitswesen.

Julia Tischler
Julia Tischler hält Basel für einen der attraktivsten Orte für Afrikastudien. Hier gibt es nicht nur einen vereinzelten Lehrstuhl, sondern eine aktive Gemeinschaft mit verschiedenen Disziplinen. (Bild: © Christian Flierl, Universität Basel)

Das Interesse an afrikanischer Geschichte erwachte in Julia Tischler während ihres Studiums – aber nicht, weil es so viele Vorlesungen dazu gab. Ganz im Gegenteil, die Geschichte Afrikas wurde stark vernachlässigt: «Schon damals hatte ich das Gefühl, dass etwas in der Darstellung der Weltgeschichte fehlt.» Die Neugierde auf diesen blinden Fleck gab den Anlass zu einem Auslandssemester in Grossbritannien, um dort Kurse in der Geschichte Afrikas zu belegen, und führte schliesslich zu einer Doktorarbeit über den Bau des Kariba-Staudamms in Sambia und Simbabwe.

Basel als Hotspot für Afrikastudien

Nach einigen Jahren Forschungstätigkeit – unter anderem an der Universität Bielefeld und der Humboldt-Universität zu Berlin – trat Julia Tischler im Jahr 2015 eine Assistenz-Professur für Geschichte an der Universität Basel an. Ein solcher Ruf sei für Afrikaforschende wie ein Sechser im Lotto, sagt Tischler. «Basel ist einer der attraktivsten Orte für Afrikastudien. Hier gibt es nicht nur einen vereinzelten Lehrstuhl, sondern eine aktive Gemeinschaft mit verschiedenen Disziplinen.» Besonders wertvoll sind für die Historikerin auch die einschlägigen Archive in Basel, wie die Basler Afrika Bibliographien und das Archiv der Mission 21. «Es ist einfach fantastisch, wenn man direkt vor Ort mit Originalquellen arbeiten kann, gerade auch in der Lehre.»

Innovation rückwärts

Dieser in Basel verwurzelte Bezug zu Afrika war auch der Anstoss für ein gemeinsames Projekt mit dem Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) in Basel und der Forschungsgruppe Stadtplanung der EPFL Lausanne. «Unsere Grundidee dabei ist, Innovation einmal andersrum zu betrachten», so Tischler. «Also nicht zu fragen: Was kann Afrika von uns lernen? Sondern herauszufinden, was wir von Afrika lernen können.» Hierfür wollen die Forschenden in den nächsten Jahren die Gesundheitsversorgung in Afrika genauer unter die Lupe nehmen – und dabei evaluieren, inwieweit auch reiche Industrienationen von afrikanischen Ansätzen profitieren können (siehe Kasten).

Die Projektpartner haben zu diesem Thema gemeinsam sechs Unterprojekte aus den Fachgebieten Geschichtswissenschaften, Public Health und Stadtplanung ausgearbeitet. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit schildert Tischler als sehr bereichernd: «Auch wenn man natürlich zunächst eine gemeinsame Sprache finden muss, war das ein toller Prozess.» Geplant sind nun beispielsweise Studien zur Entwicklung des Malariamittels Mefloquin in Sambia, zur urbanen Landwirtschaft in mehreren afrikanischen Städten und zur Finanzreform der Krankenversicherungen in Sambia und Tansania.

Julia Tischler
Julia Tischler findet es einfach fantastisch, wenn man direkt vor Ort mit Originalquellen arbeiten kann, gerade auch in der Lehre. (Bild: © Christian Flierl, Universität Basel)


Pluralismus im Gesundheitswesen

Unter Leitung von Julia Tischler ist ein Projekt, das den Aufbau des öffentlichen Gesundheitswesens in Kenia ab der späten Kolonialzeit in den 50er Jahren untersucht. «Uns interessiert dabei, welches Wissen in das Gesundheitswesen einfloss, was darin eingebunden und was unterbunden wurde», erklärt Tischler. «In den afrikanischen Kommunen gibt es ein vielfältiges Miteinander und Nebeneinander im Umgang mit Gesundheit und Krankheit. Es gibt beispielsweise verschiedene ‹traditionelle› Wissensbestände, Interventionen aus der Kolonialzeit, missionarische Traditionen sowie Einflüsse aus China.»

Die Erkenntnisse aus dieser Studie könnten laut Tischler durchaus für reichere Länder relevant sein: «Auch im Westen gibt es genügend alternative Ansätze. Medizin ist ja nicht nur ein rein naturwissenschaftliches Phänomen, sondern immer auch mit Gefühlen und Glauben verbunden. Diesem Aspekt sollte jede öffentliche Gesundheitsfürsorge Rechnung tragen.»

Afrika als Lieferant für neue Ansätze

Anhand von solchen konkreten Fallbeispielen möchten Tischler und ihre Projektpartner aufzeigen, wo ein Wissenstransfer zwischen Afrika und den Industrienationen nahe lag beziehungsweise nahe liegt – und oft trotzdem nicht stattfindet. «Dies soll auch Denkanstösse für einen Austausch in der Zukunft geben», so Tischler. Wichtig ist ihr auch, von der Vorstellung wegzukommen, dass Afrika «anders» ist und nichts beizutragen hat zu globalen Fragen. «Mein grösstes Anliegen ist, dass Afrika nicht immer nur als Exotenspielplatz angesehen wird, sondern als integraler Bestandteil dieser vernetzten Welt.»

Die Beiträge Afrikas zur globalen Gesundheit

Das Mitte 2019 gestartete interdisziplinäre Projekt African Contributions to Global Health. Circulating Knowledge and Innovations beschäftigt sich mit dem Wissen, Praktiken und Anwendungen der Gesundheitsversorgung in Afrika, die auch für den Globalen Norden relevant sein könnten. Das Sinergia-Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds mit 2.2 Millionen Franken über vier Jahre gefördert. An dem Projekt beteiligt sind neben dem Departement für Geschichte der Universität Basel auch das Swiss TPH in Basel sowie die Forschungsgruppe Stadtplanung der EPF Lausanne.

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