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campus stories
24. Oktober 2024 / Sprachen, Medien & Kunst, Studium & Campus , Céline Emch

KI schlägt Prokrastination: ein neues Kapitel im wissenschaftlichen Schreiben

Screenshot ChatGPT/KI-generierte Illustration
Wie können Studierenden Künstliche Intelligenz in ihre wissenschaftliche Arbeit integrieren? (Bild: Screenshot ChatGPT/KI-generierte Illustration)

Künstliche Intelligenz beim wissenschaftlichen Schreiben: Darf das sein? Eine Vorlesungsreihe sagt: Ja, klar. Wie du KI im universitären Alltag nutzen kannst, welche Regeln du dabei beachten musst und wie wir in Zukunft damit umgehen können, erfährst du in dieser Campus Story.

Du sitzt in der Universitätsbibliothek, umgeben von Büchern und chaotischen Notizen, und starrst frustriert auf die leere Seite. Die Abgabefrist rückt näher, doch statt Worten fliesst nur der Angstschweiss. Etwas zögerlich fängst du schliesslich an zu tippen: «Hey ChatGPT, kannst du eine kurze, spannende Einleitung zum Thema Prokrastination schreiben?»

Anja Matthiä, Betreuerin eines Doktoratsprogramms in den Health Sciences, kennt diese Situation nur zu gut. Sie beobachtet, dass Studierende das wissenschaftliche Schreiben an der Universität zwar mehr oder weniger bewusst lernen,  aber oft vor sich herschieben, weil sie diese Verbindung von Denken und schriftlicher Kommunikation als eine zu grosse Herausforderung empfinden. Dieses Phänomen sei weit verbreitet, selbst unter Doktorand*innen, die Anja Matthiä beim Schreiben ihrer Dissertation begleitet. Viele kämpfen mit grundlegenden Fragen zur Strukturierung, zum Verfassen einer Einleitung oder zur Literaturrecherche.

Stephan Meyer und Anja Matthiä
Stephan Meyer und Anja Matthiä gehören zu den Dozierenden der KI-Ringvorlesung (Bild: Céline Emch).

Anja Matthiä betont, dass es kein Patentrezept für den «richtigen» Mix an digitalen und KI-Tools gibt, sondern die Wahl der passenden Anwendung vom jeweiligen Schritt im Schreibprozess abhängt: Studierende stehen deshalb vor der anspruchsvollen Aufgabe, sich eine breitgefächerte Schreibkompetenz anzueignen, um aus der Fülle verfügbarer Tools die auszuwählen, die für ihre Bedürfnisse am geeignetsten sind. «Es ist unerlässlich, dass man offen bleibt und auch einmal über den Tellerrand der eigenen Fachrichtung schaut», sagt sie.

Schreiben mit Hilfe eines Buddys – und dazu stehen

Viele Studierende befürchten, dass der Einsatz von KI-Tools wie ChatGPT ihre Fähigkeit, eigenständig zu denken und zu schreiben, beeinträchtigen könnte. Anja Matthiä räumt diese Bedenken aus und vergleicht ChatGPT vielmehr mit einem unterstützenden Schreibbuddy: «KI sollte nicht als wissenschaftliche Quelle betrachtet werden, sondern als ein Hilfsmittel zur Ideenfindung oder Strukturierung, denn die kreative und inhaltliche Verantwortung bleibt stets beim Autor oder der Autorin», so die Dozentin.

Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang die Transparenz: Im Unterschied zu einer Person, die ich um Korrekturlesen bitte und diese dann eventuell in der Danksagung erwähne, gehört es zur wissenschaftlichen Integrität, den Einsatz von KI offen darzulegen, zum Beispiel in einer entsprechenden Erklärung am Anfang oder Ende des Textes. Häufig geht mit dieser Offenheit eine gewisse Scham einher – doch laut Stephan Meyer ist dies unbegründet: «Die Nutzung von Schreibhilfen, sei es ein Stift, ein Computer oder jetzt ein KI-Tool, hat eine lange Tradition und ist Teil der historischen Entwicklung der Textproduktion, auf die wir nicht zu verzichten brauchen.»

Im Rahmen der Ringvorlesung lernen die Studierenden nicht nur, wie KI-Tools Aspekte des Schreibprozesses erleichtern und die Textqualität verbessern können, sondern auch, wie das Schreiben die Aneignung, Vermittlung und Transformation von Wissen mitbestimmt. Denn KI kann bei der Generierung und anschliessenden Schärfung und Selektion von Ideen helfen. Die Kunst ist es, die künstliche und menschliche Intelligenz im eigenen Denkprozess zu integrieren – unter Einhaltung der Prämisse «mind over machine».

Mit dem CV überzeugen: Mehrsprachigkeit, Office und KI

Stephan Meyer ist überzeugt, dass KI-Kompetenzen bald so selbstverständlich erwartet werden wie eine versierte Mehrsprachigkeit und das routinierte Beherrschen von Office-Programmen. Anja Matthiä stimmt dem zu: Hochschulabsolvent*innen sollten in der Lage sein, diverse KI-Tools wie ChatGPT, Claude oder Perplexity im Zusammenspiel mit Applikationen wie DeepL oder Zotero anzuwenden.

Die Initiator*innen der Ringveranstaltung hoffen, dass Kurse wie dieser künftig fest in die Curriculum-Planung der Universität integriert werden: «Es wäre toll, wenn dieser Kurs eine Fortsetzung findet und in verschiedenen Fachbereichen verankert wird.», so Anja Matthiä. Ob dies umgesetzt werden kann, ist noch offen. Bis dahin können sich interessierte Studierenden melden, um sich die aufgezeichnete Vorlesung anschauen zu können.

Mühsame Aufgaben an KI delegieren

Die Ringvorlesung soll jedoch nicht den Eindruck erwecken, dass KI das Schreiben als Denk- und Lernprozess grundlegend vereinfache. «Man kommt nicht um das Schreiben herum, aber man kann es lernen – und mit den richtigen Tools wird es zumindest effizienter», sagt Matthiä.

KI kann sowohl mühsame Routineaufgaben wie die Verwaltung von Literatur- und Literaturhinweisen übernehmen als auch in den kreativen Prozess des Brainstormings und der Ideenschärfung einbezogen werden. Auf diese Weise kann die KI helfen, die Angst vor dem leeren Blatt zu überwinden.

Es ist also einfacher, mit dem Vorschlag von ChatGPT für eine Einleitung zum Thema Prokrastination zu starten. Also ab ans redigieren, wenn ChatGPT sagt: «Prokrastination – fast jeder kennt das Phänomen: Die To-do-Liste wird länger, aber anstatt sofort loszulegen, finden wir uns plötzlich bei den unwichtigsten Aufgaben wieder. Was steckt hinter diesem Verhalten, das uns so oft davon abhält, produktiv zu sein? Und warum neigen wir dazu, selbst bei wichtigen Deadlines alles aufzuschieben? Prokrastination ist mehr als nur Faulheit – es ist ein komplexes Zusammenspiel von Psychologie, Gewohnheiten und Emotionen.»

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