«Ich wünschte mir, dass wir als Kirche mutiger wären.»
Interview: AlumniBasel*
Priscilla Schwendimann kam für das Theologie-Studium nach Basel. Heute macht sich die reformierte Pfarrerin für einen fröhlichen und ermächtigenden Glauben stark.
AlumniBasel: Welches Bild der Theologie nehmen Sie in der Öffentlichkeit wahr?
Priscilla Schwendimann: Wenige wissen, was Theologie überhaupt ist, einige finden sie «überflüssig». Ich finde das schade und gefährlich. Unsere Kultur ist stark geprägt durch das Christentum. Zu wissen, was unsere Kultur geprägt hat und warum wir denken, wie wir es tun, ist zentral. Wissen ist eine Grundvoraussetzung, um sich eine mündige Meinung bilden zu können. Das Theologie-Studium vermittelt uns genau dieses Wissen und zwingt uns zur Selbstreflexion. Es ist ein breites Studium: Neben Altsprachen geht es um Textverständnismöglichkeiten, um Geschichte, systematische wie auch praktische Ansätze.
Welches Bild der Theologie nehmen Sie in der Öffentlichkeit wahr?
Wenige wissen, was Theologie überhaupt ist, einige finden sie «überflüssig». Ich finde das schade und gefährlich. Unsere Kultur ist stark geprägt durch das Christentum. Zu wissen, was unsere Kultur geprägt hat und warum wir denken, wie wir es tun, ist zentral. Wissen ist eine Grundvoraussetzung, um sich eine mündige Meinung bilden zu können. Das Theologie-Studium vermittelt uns genau dieses Wissen und zwingt uns zur Selbstreflexion. Es ist ein breites Studium: Neben Altsprachen geht es um Textverständnismöglichkeiten,
um Geschichte, systematische wie auch praktische Ansätze.
Welche Bedeutung haben solche jahrtausendealte Texte heute noch?
Religion ist bei jungen Menschen wieder ein relevanteres Thema. Sie kennen religiöse Texte und möchten darüber diskutieren. Wenn wir kein Wissen haben, sind wir sprachlos und können uns nicht auf Augenhöhe dazu äussern. Damit sind wir kein Gegenüber mehr, das ernst zu nehmen ist, und andere werden dieses Vakuum füllen.
Es geht nicht darum, selbst einen Glauben zu haben. Es reicht, wenn ich darlegen kann, dass ich einen anderen hermeneutischen Zugang zu einem religiösen Text habe. Hermeneutik bedeutet, dass ich mir bewusst bin, warum und wie ich diesen Text lese. Bei religiösen Texten stehen wir oft da und merken: Wir haben uns nie gefragt, wie wir diese Texte lesen möchten. Die kritische Auseinandersetzung mit religiösen Texten sollte zur Allgemeinbildung gehören, heute mehr denn je. Wird das Thema Religion aus der Schule verbannt, holen sich junge Menschen die Informationen andernorts, zum Beispiel auf Social Media. Dort finden sie womöglich Aussagen, die völlig aus dem Kontext gerissen sind – dies kann gefährlich werden.
Welchen Stellenwert hat der Glauben in der heutigen Zeit?
Über unseren Glauben sprechen wir selten in der Schweiz. Glauben ist persönlich, für uns häufig privat. Durch meinen ehemaligen Podcast «Holy Shit» bin ich mit jungen Menschen in Kontakt gekommen.
Viele fühlen sich einsam und haben grosse Selbstzweifel. Die Nachfrage nach Seelsorge ist hoch. Wie schön ist es da, sagen zu können: Ich glaube, es gibt einen Gott, die hat uns alle wunderbar und einzigartig gemacht. Ich darf sein, wer ich bin, ohne zu müssen. Diese Freiheit schenkt mir der Glaube. Den muss ich nicht beweisen. Ich darf glauben, und das gibt mir Hoffnung.
Aber der Mitgliederschwund bei den Kirchen hält an?
Das hat viele Gründe: einerseits einen demografischen, es sterben mehr Menschen, als geboren werden. Andere treten aus, weil sie vielleicht enttäuscht wurden. Ich persönlich wünschte mir, dass wir als Kirche mutiger wären, fröhlicher und bunter. Wir sollten klarer das Evangelium verkündigen und alte Strukturen hinter uns lassen, um den Glauben lebensnah zu vermitteln, so auch auf Social Media. Es geht dabei nicht darum, den Menschen zu sagen, was richtig und was falsch ist, sondern sie zu ermächtigen, einen eigenständigen Glauben zu entwickeln. Die Aufgabe der Kirche ist, eine Gemeinschaft zu schaffen, in der sich die Menschen zu Hause fühlen, in der sie so sein können, wie und wer sie sind. Denn wir haben eine frohe Botschaft: Gott sieht jeden Menschen und nimmt uns an.
*Das Interview wurde schriftlich geführt.
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