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Bild und Freiheit (01/2017)

Die Sprache im Gespräch

Text: Sarah Schupp

Martin Luginbühl begeistert sich für Sprache. Die Leidenschaft des Germanistikprofessors ist die Angewandte Linguistik – zum Beispiel die Verwendung von Sprache in den Medien.

Prof. Martin Luginbühl. (Bild: Universität Basel, Andreas Zimmermann)
Prof. Martin Luginbühl. (Bild: Universität Basel, Andreas Zimmermann)

Er war nie ein grosser Bücherwurm. Aber Sprache hat Martin Luginbühl fasziniert, seit er sich in jungen Jahren der grossen Wirkung von Wörtern bewusst wurde. «In einer Familie mit drei Kindern wird immer viel geredet und mündlich ausgehandelt. Weil ich mich ausserdem als Jüngster unter meinen Geschwistern eher selten physisch wehren konnte, trainierte ich meine verbale Widerstandsfähigkeit», sagt der gebürtige Schaffhauser mit einem Schmunzeln. Er entschied sich später für ein Germanistikstudium in Zürich – wo er mit seiner Familie heute noch wohnt – und dachte dabei zunächst an Begriffe wie Grammatik und Syntax. An der Universität lernte Luginbühl jedoch die Angewandte Linguistik kennen und betrat damit eine ihm bisher unbekannte Welt der Sprachwissenschaft. Fortan setzte er sich intensiv mit der Verwendung von Sprache in konkreten Situationen und der Beobachtung authentischer Kommunikation auseinander.

Konstruktion von Wirklichkeit

Vor rund einem Jahr bezog Luginbühl sein Büro im Deutschen Seminar am idyllischen Nadelberg in Basel, wo er über Medienlinguistik und Gesprächsanalyse forscht und lehrt. Dabei interessiert sich der 47-Jährige weniger für die Sprache als Zeichensystem, als vielmehr für ihre Wirkung in der sozialen Interaktion und für ihren Gebrauch für bestimmte Zwecke. Die Medienlinguistik bietet sich optimal zur Beantwortung dieser Fragen an. Bereits in seiner Doktorarbeit «Gewalt im Gespräch» untersuchte Luginbühl die Wirkungen von sprachlichem Handeln in der politischen Diskussionssendung «Arena». Danach forschte er über die sprachliche Konstruktion von medialer Wirklichkeit: «Es geht dabei etwa darum, wie sich Informationen verändern, wenn sie mediale Bearbeitungsprozesse durchlaufen – von einer Pressekonferenz über eine Medienmitteilung bis zu dem, was im Radio, im Fernsehen und in der Zeitung berichtet wird», erklärt er.

Ein Beobachter der «Tagesschau»

Im Gespräch mit Luginbühl wird schnell deutlich: Besonders interessieren ihn Nachrichtensendungen im Fernsehen und die Art, wie sie dem Publikum Informationen als authentische Wirklichkeit präsentieren. Die Ergebnisse seiner Analyse zur historischen Entwicklung der «Tagesschau» von SRF haben ihn überrascht: Zu Beginn, in den 1950er-Jahren, bestanden zwei Drittel der Beiträge aus einer Mischung aus Information und Unterhaltung. So zeigten die Nachrichtensendungen zum Beispiel einen Beitrag über eine Ballerina, die mit einem Tiger auftrat – «reine Unterhaltung».

In den folgenden 20 Jahren verkündeten die Sprecher die Nachrichten der «Tagesschau» dann sehr nüchtern und distanziert, wie Luginbühl in seinen Analysen nachzeichnet. Für die 1980er- und 1990er-Jahre stellt er wieder einen klaren Paradigmenwechsel in der Berichterstattung fest: Der frühere Sprecher wurde durch einen Moderator ersetzt, der eine emotionale und lokale Nähe zum Publikum herstellt; die Korrespondenten werden direkt am Ort des Geschehens gezeigt. Derzeit sei in den Korrespondentenberichten wieder eine Tendenz zur nüchternen, sachlichen Sprache erkennbar, wobei die Anmoderationen unterhaltsam und dynamisch blieben, sagt der Linguist. «Die Geschichte der ‹Tagesschau› besteht also nicht aus einer kontinuierlichen Entwicklung hin zu mehr Unterhaltung, sie lässt sich eher als Wellenbewegung beschreiben».

Mit Forschungen dieser Art geht Luginbühl der übergeordneten Frage nach, wie sich journalistische Kultur sprachlich äussert – aber auch, wie sie durch Sprache erst hervorgebracht wird. Die interdisziplinäre Herangehensweise der Medienlinguistik ermöglicht einen ganzheitlichen Ansatz, da sowohl sprachliche Elemente wie Wortwahl und Satzstruktur als auch Themenentfaltung, Sprach-Bild-Verbindungen und Intonation berücksichtigt werden.

Medien umgeben uns jeden Tag und überall. Kann ein Medienlinguist dabei überhaupt noch abschalten? «Da gibt es wohl schon eine ‹Déformation professionelle›», gibt Luginbühl zu, «denn ich kann keine massenmedialen Produkte konsumieren, ohne gleichzeitig einen analytischen Blick darauf zu werfen. Manchmal ist mir gar nicht einmal bewusst, ob ich dabei arbeite oder Privatmensch bin.» Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass viele der Beispiele, die er in Lehrveranstaltungen einbindet, aus seiner täglichen Auseinandersetzung mit Medien stammen. Es gebe für ihn nur ein Medium, bei dem er sich zurücklehnen könne: «Am ehesten schalte ich im Kino ab – hier kann ich mich ganz auf den Film einlassen und in fiktive Welten abtauchen.»

Die wissenschaftlichen Methoden der Sprachwissenschaft gibt Luginbühl mit Begeisterung an seine Studierenden weiter. Mit der Vermittlung von Wissen begann er schon kurz nach dem Studium: Während 13 Jahren unterrichtete er neben seiner Forschung Deutsch an Gymnasien. Dieses zweite Standbein war ihm auch wichtig: «Nachwuchsstellen an Universitäten sind befristet und ermöglichen wenig Planung. Besonders als ich Vater zweier Kinder wurde, wollte ich mich beruflich absichern», so der Linguist. Die Lehre und die Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern hätten ihm immer grossen Spass gemacht und er interessiere sich bis heute für neue Methoden in der Lehre.

2003 war das Jahr, in dem sich Luginbühl ganz für eine wissenschaftliche Laufbahn entschied, ein Jahr später ging er mit einem Nationalfonds-Stipendium in die USA. In San Diego erarbeitete er während zwei Jahren einen Vergleich zwischen der Gestaltung medialer Wirklichkeit bei der «Tagesschau» und den «CBS Evening News». Zurück in der Schweiz, widmete er sich vermehrt seiner zweiten Passion: Er untersuchte, welche Rolle Mündlichkeit beim Unterrichten und als Lernziel spielt. Diese Forschung baut er zurzeit im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Entwicklung mündlicher Argumentationskompetenzen von Schulkindern in der Schweiz aus. «Solche Ergebnisse können direkt in die Praxis zurückgespielt und zur Reflexion genutzt werden», sagt Luginbühl.

Ob Medienlinguistik oder Gesprächsanalyse – beide Forschungsfelder solcher sogenannten «Bindestrich-Disziplinen» entsprechen Luginbühls Faszination für die Bedeutung von Sprache in der sozialen Interaktion und im Zusammenhang mit anderen, nichtsprachlichen Aspekten. Er beschränkt seine wissenschaftliche Arbeit aber nicht auf eine bestimmte Methode oder eine spezifische Fragestellung: «Meine Neugier hört nicht an den Grenzen der Linguistik auf – und genau das macht meine Forschung spannend.»

Martin Luginbühl geboren 1969, studierte Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft und Geschichte an der Universität Zürich, wo er 1998 promoviert wurde. Neben der wissenschaftlichen Arbeit war er in Teilzeit als Gymnasiallehrer tätig. Vor seiner Berufung nach Basel war er Professor für deutsche Sprachwissenschaft an der Université de Neuchâtel.

Weitere Artikel in der aktuellen Ausgabe von UNI NOVA.

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