Was tun gegen die Plastikverschmutzung, Frau Petrig?
Text: Anna Petrig
Kunststoffabfälle sind ein weltweites Problem. Eine Umweltwissenschaftlerin und eine Völkerrechtsexpertin über Handlungsoptionen für Privatpersonen und Politik.
Die Kunststoffproduktion ist von 2,3 Millionen Tonnen im Jahr 1950 auf 390 Millionen Tonnen im Jahr 2021 angestiegen. Jede Minute gelangt Plastik in der Menge eines Müllabfuhrwagens in die Meere. Dies führt nicht nur zur Verschmutzung der Küstengebiete, sondern verwandelt auch den Meeresboden zunehmend in eine Müllhalde.
Aufgrund der zunehmenden Sensibilisierung für die mit der Plastikverschmutzung verbundenen Gefahren und ihre verheerenden Auswirkungen auf Natur und Mensch ist der Druck auf Staaten und internationale Organisationen gewachsen, rechtliche Schritte gegen diese zu unternehmen. In Anbetracht der Dimension des Plastikproblems, das alle Staaten der Welt betrifft und Grenzen überschreitet, besteht ein ersichtlicher Bedarf an globalen Regelungen, die ein koordiniertes Vorgehen ermöglichen.
Obwohl sich in jüngster Zeit die Bemühungen zur Stärkung des völkerrechtlichen Rechtsrahmens gegen die Plastikverschmutzung auf internationaler Ebene, insbesondere in verschiedenen Gremien der Vereinten Nationen (UN), vervielfacht und intensiviert haben, existiert bis heute kein völkerrechtlicher Vertrag, der sich spezifisch der Plastikverschmutzung widmet. Weiter decken verschiedene internationale Umweltabkommen, die Regelungen zur Plastikverschmutzung beinhalten, nicht den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen ab. Vor diesem Hintergrund haben weltweit mehr als 2,2 Millionen Menschen die bisher zahlenmässig erfolgreichste Petition des WWF unterzeichnet. Sie fordert die UN auf, das Plastikproblem durch ein weltweites, rechtsverbindliches und spezifisch auf die Plastikverschmutzung ausgerichtetes internationales Abkommen in Angriff zu nehmen.
Initiativen wie diese gaben den Anstoss für die historische Grundsatzentscheidung vom 2. März 2022: Die 175 Staaten, die an der UN-Umweltversammlung – dem höchsten Entscheidungsgremium der Welt im Umweltbereich – teilnehmen, verabschiedeten einstimmig die Resolution End Plastic Pollution: Towards an International Legally Binding Instrument. Diese fordert, die Verhandlungen über den künftigen Plastikvertrag bereits im Jahr 2022 aufzunehmen, und nennt inhaltliche Schwerpunkte, die der Vertrag berücksichtigen soll.
Dieser soll den gesamten Lebenszyklus von Plastik abdecken, also jeglichen Lebensabschnitt von Kunststoffen regeln: die Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, das Produktdesign, die Herstellung, die Verpackung und den Vertrieb, die Verwendung und Wiederverwendung, aber auch das Abfallmanagement, einschliesslich Trennung, Sammlung, Sortierung, Recycling sowie Entsorgung. Ein weiterer Schwerpunkt ist die finanzielle und technische Unterstützung, der Aufbau von Kapazitäten sowie Technologietransfers, die jenen Ländern zugutekommen sollen, welchen die Ressourcen fehlen, um das Problem eigenständig zu bewältigen.
Das Ziel der an den Verhandlungen beteiligten Staaten ist es, den UN-Plastikvertrag bis Ende 2024 zu verabschieden. Die erste Verhandlungsrunde fand Ende 2022 statt. Eine herausragende Frage war der Geltungsbereich des Vertrags: Während eine Reihe von öl- oder kunststoffproduzierenden Ländern für einen engen Anwendungsbereich plädierten, wonach sich der Vertrag hauptsächlich mit Plastikabfällen befassen soll, sprach sich die Mehrheit der Staaten für einen umfassenden Ansatz aus, der den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen berücksichtigen soll. Die Herausforderung für künftige Verhandlungsrunden – die nächste findet im Mai 2023 in Paris statt – besteht darin, rechtliche Lösungen zu finden, die dem Ausmass des Plastikverschmutzungsproblems gerecht werden. Sofern sich nämlich nichts an der gegenwärtigen Situation ändert, wird es bis 2050 mehr Plastik als Fische in den Weltmeeren geben.
Anna Petrig ist Professorin für Völkerrecht und Öffentliches Recht an der Universität Basel. Sie ist Expertin für Seevölkerrecht und Mitglied des «Plastics Treaty Legal Advisory Service», der die am wenigsten entwickelten Länder sowie die kleinen Inselentwicklungsländer bei den laufenden Verhandlungen zum Plastikvertrag rechtlich berät.
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